Der berüchtigte nackte Bauchnabel

Ein Film und eine Ausstellung kämpfen um die Anerkennung der Samba-Pionierin Carmen Miranda  ■ Aus Rio Astrid Prange

Als Carmen Miranda im Jahr 1939 ihr Debüt am Broadway feierte, fühlte sich Brasiliens „High Society“ geohrfeigt. Warum begeisterte sich New York ausgerechnet für schwarze Trommelmusik? Warum für dieses leichte Mädchen namens Carmen, die eigentlich gar keine echte Brasilianerin, sondern eine Portugiesin war?

Beim Gedenken an die „brasilianische Überraschungsbombe“, wie Carmen Miranda in den USA gefeiert wurde, halten sich in ihrer Heimat Bewunderung und Mißgunst immer noch die Waage – auch vierzig Jahre nach ihrem Tod. „Brasilianer verkraften es einfach nicht, wenn Landsleute Karriere im Ausland machen.“ Iberé Magnani, ohne Zweifel glühendster Verehrer Carmen Mirandas an der Copacabana, serviert Gleichgesinnten in seinem Museum Erfrischungsgetränke in eisgekühlten Gläsern auf dem Silbertablett. Seine Leidenschaft für die „grünen Scheinwerferaugen“ und das „exotische Charisma“, ganz zu schweigen von dem berüchtigten nackten Bauchnabel der Miranda, ist mehr als die Sehnsucht nach dem Klang alter Schallplatten seiner Eltern. Als Direktor des Carmen Miranda Museums, eines Schmuckstücks inmitten des Flamengo Parkes in Rio, hat der 29jährige zum vierzigsten Todestag eine Ausstellung für seine Angebetete organisiert. Als Autor einer noch unveröffentlichen Carmen-Miranda-Biographie beriet Iberé Magnani die brasilianische Regisseurin Helena Solberg bei den Dreharbeiten zu dem Dokumentarfilm „Bananas is my business“, der in Rios Kinos anläßlich des vierzigsten Todestages von Carmen Miranda lief. „Leider“, so Museumsdirektor Magnani, „viel zu kurz und nur in Programmkinos.“

Keine Frau verkörpert in den Augen der Amerikaner Brasilien besser als Carmen Miranda. Nur Fußballkönig Pelé ist in den USA noch bekannter. Carmen Miranda genoß die Ehre, 1941 als erste Künstlerin Lateinamerikas ihre Fingerabdrücke und Fußspuren auf dem „Sidewalk of Fame“ in Hollywood zu verewigen. Schuhgröße: 32. Absatzhöhe: 16 Zentimeter. Wie schaffte sie es, auf diesen Hochplateaus stundenlang zu tanzen?

Die Brasilianer ließen sich davon nicht begeistern. Sie warfen der „Botschafterin des Sambas“ vor, sich am Broadway dem American Way of Life ergeben zu haben. Carmen-Verehrer Magnani hat für die Kritik seiner Landsleute nur einen bitteren Kommentar übrig: „Carmen Miranda ist Brasiliens Visitenkarte. Alles andere ist purer Neid. Das ist die Wahrheit.“ Der Ruhm beim großen Nachbarn im Norden half Carmen in Brasilien nicht weiter. Viele mißgönnten der „kleinen Bemerkenswerten“ (Pequena notavel) den Erfolg und schalten sie ein amerikanisiertes Flittchen, das nach dem Ritt auf dem Goldesel jegliches Rhythmusgefühl verloren hatte. „Der unterkühlte Empfang für Carmen in ihrer Heimat ist ein urtypisches brasilianisches Verhalten“, schreibt der Feuilletonchef der brasilianischen Tageszeitung Globo, Milton Abirached. Der Triumph in den USA habe Carmen Miranda in den Augen des brasilianischen Volkes zur Verräterin, blasiert und neureich, gemacht. „Neid ist der Motor Brasiliens, im Fall Carmens ist das eine Schande“, sagt Abirached. Und dann holt er zum Rundumschlag gegen alle „Linken“ und „Feministinnen“ aus, die dies anscheinend nicht verstehen: „Sogar der Filmregisseur Glauber Rocha hat Carmen bei einem ihrer Fernsehauftritte verächtlich als Clown beschimpft.“

Genauer betrachtet war die gehobene Gesellschaft an der Copacabana auf einheimische Kultur noch nie gut zu sprechen. Haftete doch Samba und Karneval der unangenehme Beigeschmack sozialen Aufruhrs und lärmender Ausgelassenheit der Armen an. Während die Afro-Brasilianer, die nach der Abschaffung der Sklaverei im Jahre 1889 in die Städte strömten, zur Karnevalszeit trommelnd durch die Straßen Rios zogen, tanzten betuchte Cariocas hinter verschlossenen Türen zu europäischer Salonmusik. Der merkwürdige brasilianische Blues namens Samba erinnerte sie an die ekstatischen Tänze von Sklaven. Als die afrikanischen Zwangsarbeiter noch in Ketten lagen, waren sie zu kleinsten Schritten gezwungen, wollten sie sich überhaupt bewegen. So jedenfalls will es die Sambalegende.

Die portugiesische Familie Miranda da Cunha, seit 1911 in Rio, lebte in bescheidenen Verhältnissen, ein kleiner Herrensalon und eine Pension mußten den achtköpfigen Haushalt unterhalten. Aber war dies ein Grund dafür, die anrüchigen Vergnügungen armer Leute zu goutieren? Eine „Radiosängerin mit künstlerischen Ambitionen“ zu sein wie Carmen Miranda, das war seinerzeit in Rio nicht viel angesehener als Prostitution. Mehr Anhänger als Samba und Karneval hat in Brasilien nur die afrikanische Religion Candomblé. Um die Gunst der Meeresgöttin Iemanja zu erlangen, werfen in der Silvesternacht über eine Million Cariocas weiße Rosen in die Brandung. Und in Bahia? Wo sich die Söhne und Töchter der afrikanischen Heiligen tummeln? Erst als sie in die Rolle einer „Baiana“ schlüpfte, entdeckte Carmen Miranda das Geheimnis. Als sie 1938 in dem Film „Banana da terra“ den Samba „O que é que a baiana têm“ (Was ist an einer Frau aus Bahia dran?) sang, trug sie erstmals die traditionelle örtliche Tracht: Turban, schulterfreie Spitzenbluse, die knapp bis zur Taille reicht, und einen Reifrock. Seitdem nahm die „Dame mit dem Tuttifrutti-Turban“ ihre Kopfbedeckung nicht mehr ab. Sie durfte es nicht. Als die „amerikanisierte Baiana“ sich von ihrem Markenzeichen befreien wollte, um ihrem Publikum zu zeigen, daß sie über echte Haare verfügt, legten ihre Produzenten Einspruch ein. Bis kurz vor ihrem Tod, zuletzt während der Produktion eines Fernsehprogramms für den amerikanischen Showmaster Jimmy Durante am 5. August 1955 in Los Angelas, klebten tropische Früchte an ihrem Kopf. Ein Wust von Perlenketten schillerte in ihrem Dekolleté, riesige Ohrringe baumelten unter dem strammgezogenen Turban. Auf ihr amerikanisches Publikum übte die 1,53 Meter kleine „Brazilian Bombshell“ mit ihrer völlig unbekannten Sprache beinahe die Faszination einer Außerirdischen aus. „Sie kam in einer Zeit, als die Amerikaner weder Brasilien noch Bahia kannten“, erklärt Iberé Magnani. Für ihn besteht kein Zweifel: „Carmen war eine Revolutionärin. Wie sie sang, und wie sie sich bewegte, war für ihre Zeit ein Skandal.“ Der nackte Bauchnabel, die hohen Absätze, die heiteren Sambamärsche – all dies wäre noch zu schlucken gewesen. Aber warum mußte sie ausgerechnet mit der exotischen Tracht ehemaliger Sklavinnen am Broadway Furore machen?

Unterdessen hat sich das Image der brasilianischen Kultur völlig gewandelt. Sie ist ohne schwarze Elemente überhaupt nicht mehr denkbar: Aus den Fleischabfällen der brasilianischen Sklavenhalter brauten die Afrikaner das heutige brasilianische Nationalgericht Feijoada, einen schwarzen Bohneneintopf. Um den Schmerz regelmäßiger Auspeitschungen hinunterzuspülen, erfanden sie während ihrer Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen das brasilianische Nationalgetränk Cachaca (Zuckerrohrschnaps). Mit dem Kampftanz Capoeira verteidigten sie sich gegen die Gewaltausbrüche ihrer Herren. Beim Samba tanzten sie sich ihren Zorn vom Leib und faßten ihre Gefühle in Refrains.

Was die „Kleine Bemerkenswerte“ schon vor fünfzig Jahren entdeckte, hat Brasiliens Kulturminister jüngst zu seinem Arbeitsmotto erhoben: die Verbreitung der brasilianischen Volkskultur. In der Epoche nach Carmen Miranda ist sie ein Exportschlager ersten Ranges geworden.