Feste feiern, wie die Partei fällt

■ Top-Genossen feiern 50 Jahre Nachkriegs-SPD, Hinterbänkler fordern Rudolf Scharpings Rücktritt

Berlin (rtr/AP/taz) – Während am Sonnabend, beim Festakt zum 50. Jahrestag der Wiedergründung der SPD, die Sozialdemokraten in Berlin noch Einigkeit übten und sich friedlich die Hände reichten, wetzten im Hintergrund andere Genossen die Messer. Scharping-Schelte hat Konjunktur, ein neues Hoch zog gestern über seinen Kopf hinweg.

In vielen Rundfunkstationen der Republik und bei den großen Boulevardzeitungen gaben sich SPD-Landespolitiker die Klinke in die Hand, um in Interviews zu verkünden, daß der vorläufige Kanzlerkandidat mit seinem Rückzug in der Diäten-Frage die Fraktion übel brüskiert habe. Es ist die Stunde der Abgeordneten aus der zweiten Reihe, von Erwin Horn, Lilo Blunk oder Volker Neumann. Scharping habe vor den Länderfürsten „ohne Not kapituliert“, die Fraktion zum „Kasper“ gemacht, sagten sie, und „wir können ein Gesetz nicht nur deshalb zurückziehen, weil unser Vorsitzender so schwach ist“. Bundestagsvizepräsident Hans-Ulrich Klose stieß ins gleiche Horn, indem er ausschließlich die Fraktionsspitze für das Scheitern der Diäten-Pläne verantwortlich machte. Das Debakel sei Ergebnis der „mangelnden Kooperation“ zwischen der Fraktion und den Ländern gewesen. Er persönlich habe immer auf dieses Problem hingewiesen. Mit seiner Flucht nach vorne reagierte er auf die massiven Vorwürfe des Ex-Bundesgeschäftsführers Günter Verheugen, der im neuesten Spiegel verkündet: „Bei den Diäten hätte ich wissen müssen, daß ein Hans-Ulrich Klose keine handwerklich saubere Arbeit abliefert.“

Noch einen Schlag forscher als diese Schelter artikulierten sich der niedersächsische Landesgeschäftsführer Klaus Schumacher und der bayrische SPD-Vizevorsitzende Albert Schmid. Beide forderten Scharpings Rücktritt als Parteivorsitzender. Die Offensive war nicht abgestimmt, denn Schumacher schlug Ministerpräsident Oskar Lafontaine als Nachfolger vor, während Schmid Johannes Rau favorisiert.

Derweil finden sich immer mehr SPD- Politiker, die sich jetzt für eine bescheidenere Anhebung der Diäten stark machen. Norbert Gansel erklärte gestern, daß diejenigen, die nach dem Scheitern der bisherigen Pläne dasgleiche wollen, bloß ohne Grundgesetzänderung, mit „dem Kopf durch die Wand gehen, ohne ihn noch zu haben“. Gansel, unterstützt von dem stellvertretenden SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wolf-Michael Catenhusen und der Vizeparteivorsitzenden Hertha Däubler- Gmelin, plädiert jetzt für eine einmalige Anhebung der Diäten bis 1998 auf 13.000 Mark brutto und eine Offenlegung aller Nebeneinkünfte.

Bei all dem Streit ist die Union aus dem Schneider. Bisher forderte nur der Vorsitzende der Jungen Union, Klaus Escher, das ganze Diäten-Projekt fallen zu lassen.

Am kommenden Freitag berät der Bundesrat über den vom Bundestag eingebrachten Gesetzesvorschlag, die Diäten an die Gehälter von Bundesrichtern anzukoppeln. Was dabei herauskommt, ist heute schon klar. Ein Nein. Seite 4