Ottla als Engel

■ Kulturgut statt Underground: US-Comiczeichner Robert Crumb illustriert ein Buch über Leben und Werk Franz Kafkas

Wenn schon das abertausendste Buch über Kafka erscheint, dann, so wird sich der Icons-Books-Verlag überlegt haben, braucht es einen Werbegag. Also gab man dem Underground-Pensionär Robert Crumb den Auftrag, mit durchaus didaktischem Anspruch etwas über das Leben und Werk Franz Kafkas zu zeichnen. Denn Comics gelten als leicht verständlich, und insofern eignen sie sich angeblich auch für pädagogische Zwecke...

Anders als die grobschlächtige Rowohlt-Comicreihe („Marx für Anfänger“ etc.), verzichtet Textautor David Zane Mairowitz in „Kafka kurz und knapp“ auf eine anbiedernd-synthetische „Jugend“-Sprache. Herausgekommen ist eine kenntnisreiche, unangestrengte Einführung in Kafkas Biografie. Nebenbei umschifft Mairowitz alle Schulen der Kafkalogie und beschränkt sich auf das Motiv des Judentums sowie Kafkas Verhältnis zu Frauen. All das ist von Ursula Grützmacher-Tabori hervorragend übersetzt, fest gebunden und bei Zweitausendeins auf Hundert-Prozent-Recyclingpapier gedruckt worden.

Das Problem am neuen Crumb aber ist Crumb selbst. Nur die nacherzählten neun Geschichten Kafkas wurden von Crumb als Comics gezeichnet. Ansonsten macht Crumb Einzelbilder und betätigt sich als ein eher braver und einfallsloser Illustrator. Wird Kafka mit „einer Riesenfaust“ zitiert, die Prag zerschmettert, so sieht man eine Faust auf das Prager Zentrum niederfahren. Entgegen Kafkas Verbot an seinen Verleger, das Insekt Gregor Samsa naturalistisch abzubilden, zeichnet Crumb einen Käfer. Nur hat Crumb dann nicht genau genug nachgelesen, und etwa die menschlichen Augen des besagten Samsa vergessen, auf die schon Nabokov in seinem Aufsatz zu Kafka hingewiesen hat.

Anstatt sich Kafka anzueignen, vertraut Crumb auf kulturelle Referenzen: unten eine Großstadtzeichnung von Grosz, oben die von Crumb realistisch gezeichnete Schwester Ottla als Engel, die Kafka durch die Lüfte trägt. Sicher die zusammengestückeltste Seite, die je von Crumb zu sehen war.

Crumbs Stärke war der Hippieblick auf Amerika, der aus Angestellten dumpf-geile Böcke macht und die Dingwelt wie im LSD-Rausch erscheinen ließ. Aber was macht Crumb, wenn er auf seinen postkatholischen, nostalgisch-sexistischen Späthippieismus nicht zurückgreifen kann? Zähe Kultur. Martin Zeyn

David Zane Mairowitz und Robert Crumb: „Kafka kurz und knapp“. Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1995, 20 DM