Liberale im letzten Gefecht

■ Vor den Abgeordnetenhauswahlen hofft die FDP auf ein Wunder. Der Partei werden zwei Prozent prognostiziert. Der rechte Flügel setzt auf eine Niederlage

Neulich wurde Michael Tolksdorf wieder einmal Trost zuteil. Eine ältere Dame, selbst FDP- Mitglied, spendete einen Tausender für den Wahlkampf seines Bezirksverbandes Reinickendorf. „Wir dürfen“, ermahnte sie den 53jährigen Abgeordneten, „unsere Liberalen nicht untergehen lassen.“

Aufmunternde Worte hat Tolksdorf wahrlich nötig. Der FDP droht der Rauswurf aus dem Abgeordnetenhaus. Klägliche zwei bis drei Prozent werden für den 22. Oktober vorausgesagt. Es sei schwierig, gesteht der linksliberale Tolksdorf, gegen die „Hoffnungslosigkeit anzukämpfen“. Aufmunterung verschafft da manchen ein Blick in die Parteihistorie. „Immer, wenn wir stark unter fünf Prozent gehandelt werden, kamen wir wieder in die Landtage“, versucht Fraktionssprecher Olaf Irmscher der Mathematik eine FDP-Variante hinzuzufügen.

Wie er hoffen viele auf einen „bürgerlichen Mitnahmeeffekt“ durch eine starke CDU. „Niemand will, daß die CDU unkontrolliert regiert“, meint Irmscher. Doch Diepgens Partei hat die FDP abgeschrieben. Zu einer Zweitstimmenkampagne rang man sich nicht durch. Diesmal, so wissen die CDU-Strategen, muß im Alleingang die Lage für eine mögliche Fortsetzung der Großen Koalition verbessert werden.

Angesichts solcher Konstellationen ist für die FDP kein Platz, auch wenn der Landesvorsitzende Günter Rexrodt nicht müde wird, sich der CDU als Koalitionspartner anzupreisen. Das Wunder von 1990, als die FDP abgeschrieben war und unerwartet mit einem respektablen Ergebnis ins Abgeordnetenhaus einzog, scheint kaum wiederholbar. Damals profitierte die FDP vom Genscher-Bonus und davon, daß die Berliner Landtags- und die erste gesamtdeutsche Wahl zusammenfielen.

Wofür die FDP in Berlin steht, das weiß sie selbst nicht mehr. Die Große Koalition brachte ihr selbstdefiniertes Bild einer „bürgerlichen Oppositionspartei“ gehörig durcheinander. Die Fraktion delektierte sich zeitweise an ihren Streitereien, lavierte zwischen Anpassung und schriller Ablehnung eines CDU/SPD-Senats. So stützte man zunächst die Olympia-Bewerbung, verdammte sie aber, nachdem sie gescheitert war. Am Ende sorgte man zusammen mit den Bündnisgrünen und der PDS für die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses.

Auch der konservative Umschwung, der vor zwei Jahren mit der Demontage der Fraktions- und Landesvorsitzenden Carola von Braun begann, brachte der Partei keine Pluspunkte. Die streitbare Linksliberale wurde Opfer einer parteiinternen Intrige, weil sie unter anderem Friseurbesuche aus der Fraktionskasse beglichen hatte. Ihr Abgang wurde von einzelnen Parteimitgliedern geradezu hämisch kommentiert. Doch auch der neue Fraktionsvorsitzende Axel Kammholz, ein moderater Konservativer, und der neue Landesvorsitzende Günter Rexrodt gerieten bald über Kreuz. Der Bundeswirtschaftsminister gilt als blasse Figur, flügelübergreifend wurde Rexrodts Lieblingskandidat abgestraft und statt dessen überraschend Kammholz auf den Spitzenplatz gewählt.

Während die Linksliberalen seit von Brauns Rückzug kaum noch zu vernehmen waren, füllte die rechte Gruppe um den Historiker Rainer Zitelmann und den Ex- Bundesanwalt Alexander von Stahl die inhaltliche Leere. Allerlei Manifeste wurden lanciert, in denen gegen den Feminismus gewettert, das Hohelied des Nationalstolzes gesungen und eine härtere Gangart in der Innenpolitik gefordert wurden. Debatten wurde losgetreten, die weit weniger die Partei als die Öffentlichkeit beschäftigten. Denn trotz der Aufmerksamkeit, die die Rechten auf sich zogen, blieb ihr Einfluß verschwindend gering. Es sei „ein Glück“, analysiert Tolksdorf das Innenleben der FDP, daß die Nationalliberalen „zerstritten sind und über keine charismatische Figur verfügen“. Zwar versuchten die Rechten, durch Neu- und Übertritte die Mehrheitsverhältnisse in einzelnen Bezirksverbänden zu kippen. So homogen, wie von der Presse beschrieben, ist die Gruppe freilich nicht. Zitelmann und seine Anhänger beobachten mißtrauisch jede Machtverschiebung im eigenen Lager.

Noch sind die Rechten weit davon entfernt, personell oder programmatisch an einem Strang zu ziehen. Als Forum dient ihnen seit kurzem ein lockerer Arbeitskreis, der sich ausgerechnet „Kritische Liberale“ nennt. Hier treffen sie zusammen, die versprengten Rechten der Stadt: Männer wie Stahl und Zitelmann, einzelne FDP-Abgeordnete, rechte Außenseiter der CDU, Vertreter des konservativen Bürgerbundes. Für Günter Rexrodt haben die Teilnehmer nur Verachtung übrig. Der sei, so tönte jüngst ein Teilnehmer der 30köpfigen Runde, ein „Kapitalknecht“, der die kleinen Unternehmen ruiniere.

Wie schon zuvor die „Republikaner“ hoffen die rechten FDPler auf einen verunsicherten Mittelstand. „Irgendwann wird jemand dieses Potential wecken“, frohlockte jüngst der Hannoveraner Wirtschaftprofessor Eberhard Hamer auf einer Veranstaltung der „Kritischen Liberalen“. Der Niedergang der FDP setzt hier weniger Depressionen als Hoffnungen frei. Manchmal, so Hamer, „kriegen wir 20 Prozent erst, wenn wir auf zwei Prozent runtergegangen sind“.

Für den Tag nach dem 22. Oktober wird intern bereits gerüstet. Im Falle eine Niederlage wäre Rexrodts Ende als Landesvorsitzender absehbar. Dann stünde der FDP – wie so oft in ihrer Geschichte – wieder einmal ein Machtkampf bevor, glaubt auch Tolksdorf: „Wenn wir aber wieder ins Parlament kommen, werden die Positionen der Rechten geschwächt.“ Und wenn es nicht klappt? „Frust“, sagt Tolksdorf, sei er in 25 Jahren FDP- Mitgliedschaft mittlerweile gewohnt: „Das zu ertragen gehört eben zur Politik.“ Severin Weiland