„Ich wußte als Kind, daß ich großartig bin“

■ Timothy Leary schnüffelt noch mal Heroin. Dann läßt er sein Gehirn einfrieren

taz: Herr Leary, Sie haben Krebs, Sie werden bald sterben.

Timothy Leary: Du mußt sterben, weil du im Garten Eden rumgefickt hast und Adam den Apfel der Versuchung gereicht hast. Soll ich Angst vor dem Tod haben? Nein, diese Angst ist ein Zeichen für eine sehr primitive, grausame Gesellschaft. Wenn man die 50 erst mal überschritten hat, ist der Tod das nächste große Ereignis. Das sollte gefeiert werden. Natürlich ist das ein Tabuthema. Doch ich habe mich immer mit Tabus beschäftigt – mit Drogen und Sex. Das Tabu, nicht über das Sterben zu sprechen, ist pervers. Man muß den Tod planen.

Und das ist, was Sie gerade tun?

Der Tod bleibt das letzte große Mysterium im Leben. Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn das Herz seinen letzten Schlag tut und die ganzen Körperfunktionen plötzlich stillstehen. In diesem Moment ist das Gehirn immer noch am Leben: Ich werde meines einfrieren lassen.

Ihren Tod wollten Sie als eine große Abschiedsparty inszenieren.

Ach, lassen Sie mich damit doch in Ruhe. Was heißt schon Party? Wir unterhalten uns jetzt, haben Spaß. Was wollen Sie mehr?

Nehmen Sie noch Drogen?

Was haben Sie anzubieten? Nichts.

Ist ja schon okay. Mein Grundsatz ist, daß ich jede illegale Droge mindestens einmal im Jahr nehme, einfach aus Prinzip, um zu zeigen, daß ich mir von der Regierung nicht vorschreiben lasse, was ich mit meinem Körper zu machen habe. Heroin hat mich nie angemacht, doch ich nehme es trotzdem einmal jährlich. Nicht intravenös – ich hasse Nadeln. Ich schnüffle oder rauche es: um diese Drogen zu entmystifizieren, um zu zeigen, daß ich kein Drogenopfer bin.

Immer mehr Jugendliche greifen zu Rauschgiften und ...

... ihre Eltern sind davon genauso wenig begeistert wie zu meiner Zeit. Bitte, öffnen Sie Ihr Gehirn: Der Grund, warum Menschen Drogen nehmen, liegt in den Rezeptoren in unserem Gehirn, die sich über 50 Millionen Jahre dort entwickelt haben. Diese Rezeptoren brauchen Drogen. Drogen sind die Schlüssel zu bestimmten Gebieten in unserem Kopf. Oder hat etwa der Teufel diese Rezeptoren dort eingebaut?

Sie müssen's wissen, Sie sind der Experte: Schon Anfang der 60er experimentierten Sie in Harvard mit psychedelischen Drogen.

Wir hielten Drogensitzungen ab, bei denen wir Versuchspersonen Psilocybin verabreichten. Wir Psychologen waren Teil der Session, wir nahmen dieselben Drogen. Dann beschrieben wir die Reaktionen. Die Versuchspersonen schrieben ihre Eindrücke nieder. All das sammelten wir, um Informationen darüber zu erhalten, wie man die Droge gezielt einsetzen kann, um den Geist zu erweitern.

Ihre Versuche zogen viele Intellektuelle an.

Ja, Allen Ginsberg lieferte uns immer neue Versuchspersonen. Er hatte dieses Adreßbuch mit all den berühmten Leuten: Charles Mingus, Dizzy Gillespie, Jack Kerouac.

Aber schon bald war man in Harvard nicht mehr begeistert von Ihren Experimenten.

Wir waren von der Presse unter Beschuß gekommen, daß wir Drogen an junge Studenten geben würden. Dabei stimmte das gar nicht. Eine unserer Regeln lautete nämlich: Niemals Drogen an untere Semester. Gerade die jungen Harvard-Studenten waren für ihre Arroganz bekannt – selbstverliebte Bücherwürmer. Aber das hielt diese unreifen Jungs natürlich nicht davon ab, sich außerhalb der Uni die Drogen zu besorgen, als sie von unseren Experimenten hörten. Das war das Ende für unsere Versuche. Denn diese Studenten riefen nach ihren Trips zu Hause an und sagten: „Mama, du kannst dir nicht vorstellen, was passiert ist. Ich habe Gott gesehen, ich will Buddhist werden.“

Und Sie wurden rausgeschmissen, mit Folgen: Sie wurden der Prophet der Hippiebewegung.

Ich fühle mich nicht für alles verantwortlich, was damals passierte. Für die „Millionen zerrütteter Leben“, von denen Mr. Miller spricht. Von vielen wurde ich einfach als Sündenbock angeklagt – ich selbst fühle mich dadurch natürlich geehrt. Doch die Leute haben mich herausgegriffen, um die Kräfte der Gegenkultur zu personalisieren, zu dämonisieren: Timothy Leary persönlich zerstörte Millionen von Leben. Meine Botschaft war: Denk für dich selber! Wenn jemand fragte: Was ist der Sinn des Lebens?, sagte ich: Denk für dich selber! Oder laß uns zusammen darüber nachdenken.

1969 haben Sie sich in der Politik versucht. Bei den Gouverneurswahlen in Kalifornien traten Sie gegen Ronald Reagan an...

Es kam ja gar nicht zum Wahlkampf. Vorher ließ mich Reagan ins Gefängnis stecken wegen zwei Joints, die die Bullen in mein Auto gepflanzt hatten.

Aber eins bewirkte dieser Wahlkampf: Ihr Slogan „Come together“ ging um die Welt.

John Lennon hat ja daraus einen Song gemacht. Ich habe damals beim Bed-In von John und Yoko in Montreal mitgemacht; dort entstand der Song „Give peace a chance“. Lennon fragte mich, ob er mir im Wahlkampf helfen könnte. Ja, sagte ich, schreib ein Lied für mich. Als „Come together“ rauskam, saß ich im Gefängnis – wegen ein bißchen Marihuana.

Herr Leary, Sie waren eine berühmte Figur der 68er-Bewegung.

Ruhm ist eine faszinierende Sache. Ja, doch, ich liebe es, berühmt zu sein. Meine Devise war: Jeder kriegt den Timothy Leary, den er verdient. Ich lernte schon sehr früh als Kind, daß ich großartig bin. Auch wenn ich jetzt zittrig werde – ein enormes Selbstbewußtsein habe ich noch immer. Aber nur eins ist letztendlich wichtig: Man muß immer offen bleiben für Neues. Es gibt nichts zu verlieren. Nur die Angst. Interview: Ute Thon