„Jetzt bin ich auf meinen Tod gespannt“

Für das amerikanische Establishment war Timothy Leary Abschaum. Für die protestbewegte Jugend in den 60er Jahren war er Prophet einer neuen Zeit: Leary – von der Polizei als Drogendealer gejagt, von Ronald Reagan in den Knast gesteckt. Die einen haßten Leary, die anderen waren fasziniert von ihm. Für John Lennon war er genial; Allen Ginsberg und William S. Burroughs genossen mit ihm LSD und hofften auf Bewußtseinserweiterung. Heute wohnt der 75jährige Provokateur in Beverly Hills – er hat Krebs, und er watet wohlgemut auf seinen Tod: „Meine letzte große Party“  ■ Eine Reportage von Ute Thon

Timothy Leary steckt in einer Sackgasse. Buchstäblich. Sein Haus ist das letzte am Sunbrook Drive, hoch oben in den Canyons von Beverly Hills. Dahinter ist Schluß. Die Fahrt durch Hollywoods Prominentenviertel führt vorbei an prächtigen Art-deco-Villen und kitschigen neugotischen Schlössern, deren schmiedeeiserne Tore kein Namensschild tragen, sondern allenfalls ein geschwungenes Monogramm. Wie wird der alternde Drogenguru und Chaos-Theoretiker wohl leben? In einem rosaroten Fünfziger-Jahre-Bungalow mit herzförmigem Swimmingpool vielleicht? Oder in einem videoüberwachten High-Tech-Bunker? Feiert er wilde Abschiedsparties? Presseberichten zufolge sollen sich bei ihm ja die Stars täglich die Klinke in die Hand geben – Weggefährten wie Ken Kesey, Allen Ginsberg oder William S. Burroughs, Yoko Ono und ihr Sohn Sean, Winona Ryder, Uma Thurman, Susan Sarandon, William Gibson. Besonders jetzt, wo der 75jährige sein baldiges Ende angekündigt hat. Timothy Leary hat Krebs, Prostatakrebs im terminalen Stadium, um genau zu sein.

Hier müßte Learys Haus stehen. Doch hier ist nur ein Briefkasten mit fünfstelliger Nummer. Der schlichte, weiße Bungalow liegt versteckt hinter einem Dickicht aus Palmen und anderen dickblättrigen exotischen Gewächsen. Die Tür steht offen. Beim Eintreten versinke ich knietief im flauschig-weichen cremefarbenen Velours. Ein junger Mann mit gefährlich locker auf den Hüften sitzenden Bermudashorts und einem Batikshirt, das überm Bauchnabel endet, begrüßt mich. Chris, ein Freund des Hauses. Weiter hinten sind zwei Männer im Gespräch, einer groß, bärtig, mit Brille, der andere kleiner, mit schlohweißem Haar – das muß Leary sein. Noch bevor ich ihn grüßen kann, lotst mich Sioban Cyr, seine junge, resulute Assistentin, in ein Nebenzimmer, um das Geschäftliche zu regeln. Eine Audienz bei Timothy Leary kostet nämlich Geld: 1.000 Dollar pro Stunde cash und vor dem Interview. Für die taz hat er sich gnädigerweise ein wenig runterhandeln lassen.

„Ute, come on over“, ruft Leary vom Wohnzimmer herüber. Endlich. Der Meister empfängt in seinem sonnendurchfluteten, rundherum verglasten Wintergarten mit Blick auf den üppigen Garten. Im Tal erkennt man unter einer Dunstglocke Downtown L.A.

Er sieht schlecht aus. Unter dem mausgrauen Jogginganzug zeichnen sich dünne Ärmchen und Beinchen ab. Seine wasserblauen Augen sind rotgerändert, die Wangen eingefallen. Um das immer noch markante Kinn wuchern weiße Stoppeln. Die mageren Füße stecken in unförmigen Schaffellpuschen.

Er zwinkert mir zu – eine Grimasse zwischen Tiroler Wurzelmännchen und Popeye: „Sie kommen aus Berlin? Chris, hol doch mal die Flagge raus!“ Chris ist Learys Verbindungsmann zum Cyberspace, bedient Learys Computer, macht Filme. Auch jetzt steht seine Videokamera auf Aufnahme, denn er sammelt Material für einen Dokumentarfilm über Leben und Sterben des Meisters, alles interaktiv natürlich.

Nun holt er erst mal die DDR- Fahne für mich. „Die habe ich aus der Humboldt-Uni mitgehen lassen“, sagt Leary, während Chris das schwarz-rot-goldene Tuch mit dem Ährenkranz ausbreitet. „Dort habe ich kurz nach dem Fall der Mauer einen Vortrag gehalten“, erinnert sich der ehemalige Harvard-Professor. Worum es ging, weiß Leary nicht mehr so genau: „Aber es hat Spaß gemacht.“ Dafür kann er sich noch genau daran erinnern, wie er mit einem Taschenmesser die Lettern MARX UND ENGELS-SAAL von der Wand gepolkt hat. Die Vereinigungsbeute stellt er jetzt, aufgeklebt auf einem Stück Gips, im Eßzimmer aus.

Von der Fahne eines untergegangenen Staates zum Untergang eines Gelehrten. Im August hat Leary in einem Interview mit der LA Times zum erstenmal öffentlich gemacht, daß er unheilbar krank ist und bald sterben wird. Doch wer glaubt, diese Nachricht hätte den ehemaligen Psychologie- Professor, Propagandisten für bewußtseinserweiternde Drogen und Ritter elektronischer Realitäten nachdenklich gemacht, hat sich getäuscht. Leary wirbt mit seinem Tod, wie er einst für seine LSD- Trips geworben hat. Schreibt Artikel über „den gesunden, sensationell ehrgeizigen Tumor“, der sich in seiner Prostatadrüse eingenistet hat, und über „Onanieren als Heilmittel“, philosophiert über Todestabu und „Tod als Teamwork“.

„Der Tod bleibt das letzte große Mysterium im Leben. Ich weiß nicht, wie es sein wird, wenn das Herz den letzten Schlag tut und die ganzen Körperfunktionen stillstehen. Aber ich bin schon sehr gespannt“, sagt er enthusiastisch. Der Tod, das ist für ihn ein neuer Trip, der geschmissen werden muß. Andere mögen deshalb in sich gehen, Leary mimt lieber den Clown. „Mir ging es nie besser. Jeder Tag ist eine große Party“, tönt er.

Seine Bewegungen haben etwas Vogelähnliches, besonders wenn er den Kopf ruckartig zur Seite dreht. Er hört schwer, wenn leise geredet wird, versteht er nichts, hilflos wirkt er dann. Angst vorm Tod? „Das ist religiöses Opferdenken. Du mußt sterben, weil du im Garten Eden rumgefickt hast und du Adam den Apfel der Versuchung gereicht hast. Das ist doch Quatsch“, ereifert er sich. „Die Angst vor dem Tod ist ein Zeichen für eine sehr primitive, grausame Gesellschaft. Man muß seinen Tod planen. Ich bereite mich seit zwanzig Jahren darauf vor.“ An seinem Handgelenk trägt er ein Metallarmband mit der Adresse einer Kryonik-Firma – eines jener obskuren Unternehmen, die mit dem Einfrieren von Leichen dicke Geschäfte machen. Leary hofft auf eine Science-fiction-Zukunft, in der man die tiefgekühlten Körper oder doch zumindest das Gehirn wieder zum Leben erwecken kann.

Da man sich darauf jedoch nicht hundertprozentig verlassen kann, hält Leary täglich hof für Freunde, Verehrer, Fernsehteams, die noch ein letztes Wort ihres Meisters ergattern wollen. Heute hat er William Dailey, einen Antiquar aus Los Angeles, zu Gast. Der Buchhändler wühlt angestrengt in einem Pappkarton. Die Stanford University hat Interesse an Learys Nachlaß angemeldet, und Dailey soll als Spezialist für Drogen- und 60er-Jahre- Literatur – er hat die Ludlow Library in San Francisco gegründet – den Wert schätzen. Akribisch hat Leary jedes Papierschnipselchen aufbewahrt, das er in den letzten 40 Jahren erhalten hat: die Postkarte von Arthur Koestler, die Rechnung von Sandoz, den Brief von Allen Ginsberg, das zerrissene Foto von Helmut Newton. Und er ist stolz auf diese Sammlung. Als er die turmhoch gestapelten Kisten in seiner Garage zeigt, wartet er auf ein anerkennendes Wort. „Da ist Dynamit drin“, sagt Bill Dailey ehrfürchtig und wühlt weiter.

Harvard 1960. Die amerikanische Eliteuniversität rekrutiert junge, kreative Köpfe für ihren Lehrkörper. Einer davon ist Timothy Leary, damals 40 Jahre alt. Der Doktor der Psychologie war vorher an der Universität von Berkeley, hatte dort eigenwillige Theorien zur Behandlung psychisch Kranker entwickelt. Seiner Meinung nach sollte der Psychologe aktiv in den Therapieprozeß eingreifen, anstatt wie Papa Freud neutral neben der Couch zu sitzen. Der Ruf aus Harvard ereilt ihn im fernen Florenz, seinem selbst gewählten Exil seit dem überraschenden Selbstmord seiner Frau Marianne im Jahr 1955. Leary stürzt sich in die neue Arbeit. Er ist froh, nach dem Ausstieg endlich wieder Anschluß an die akademische Welt gefunden zu haben.

Ein Harvard-Kollege, Frank Barron, überredet ihn zu einem Trip, der sein ganzes Leben verändern wird. Im Urlaub in Mexiko probiert er zum erstenmal psychedelische Pilze und ist von der bewußtseinserweiternden Wirkung so begeistert, daß er gemeinsam mit Barron und dem Kollegen Richard Alperts beschließt, die Magic Mushrooms in Harvard gründlich zu testen. Begünstigt wird ihr Entschluß durch die Tatsache, daß es dem Schweizer Chemiekonzern Sandoz gelungen ist, Psilocybin, die Wirksubstanz der Pilze, im Labor herzustellen. Nur allzugern stellen die Chemiker ihr neues Produkt den renommierten Harvard- Leuten zu Testzwecken zur Verfügung.

Während die Psychologen experimentierfreudige Stunden für ihre Testreihen suchen, alles mit offizieller Genehmigung der Hochschulleitung, kommen die Pillen per Post: 100 Stück, 1.000, 2.000 – je nach Bedarf. An Nachschub besteht kein Mangel. Mit einer Mischung aus grenzenloser Naivität und lustvollem Forscherdrang führen die Psilocybin-Profs Hunderte von Drogensessions durch, nach streng wissenschaftlichen Regeln, versteht sich. Eine davon besagt, daß alle Anwesenden, Testperson und Tester, gemeinsam auf Trip gehen, eine andere besteht auf angenehmer Atmosphäre mit Kaminfeuer, Kerzenlicht und klassischer Musik. Ihre Erlebnisse halten die Wissenschaftler in minutiösen Protokollen fest.

Doch die Harvard-Gelehrten sind nicht die einzigen, die zu der Zeit mit Halluzinogenen experimentieren. Die New Yorker Künstlerszene hungert nach Sex, Drugs and Rock 'n' Roll. Jack Kerouacs Beat Generation durchquert kiffend das Land. Schnell spricht sich herum, daß man in Harvard gratis high werden kann. Schriftsteller Allen Ginsberg, der Zeremonienmeister der New Yorker Boheme, freundet sich mit Leary an und schickt fortan prominente Künstler ins Psycho-Paradies nach Harvard. Die Liste reicht von Neal Cassady und Arthur Koestler über Thelonius Monk und Dizzy Gillespee bis zu Aldous Huxley und Cary Grant. Die Versuchsberichte sind euphorisch: Die Pilze machen die Menschen friedlich, sensibel, weitsichtig, übersinnlich – kurz: Die neue Glücksdroge ist da.

Leider sieht die Hochschulleitung das anders. Alarmiert durch Negativberichte in den Medien fliegt Leary 1963 raus. Sein Institut muß schließen. Damit jedoch ist sein Ruf als Wegbereiter der Gegenkultur gesichert. Statt im wissenschaftlichen Rahmen lehrt Leary jetzt in Hippie-Kommunen. Zunächst noch in einem privaten Zentrum in Milbrook, New York, später dann bringt er mit einem multimedialen Wanderzirkus die frohe Botschaft „Turn on, tune in, drop out“ unters Volk. Den staatlichen Behörden ist der selbsternannte Drogenprophet schon länger ein Dorn im Auge. Mit Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Anklagen wegen Drogenbesitzes und -handels wollen sie ihn zermürben.

Dabei waren die Drogen gar nicht das Problem. Er hätte unbehelligt vermutlich weiterforschen können, auch in Harvard, hätte er nur nicht den Elfenbeinturm der Wissenschaft verlassen. Daß er seine erhellenden Erkenntnisse mit allen Mitteln unter die Leute bringen wollte, nahmen ihm die Staatsschützer übel. Doch in der weltumspannenden Love & Peace-Gemeinde stieg sein Ansehen mit jeder Verhaftung. Seine Bücher „The Psychedelic Experiment“ und „Politics of Extasy“ gelten als Handbücher gegen das Kriegsgemetzel in Vietnam, Anleitungen zur sexuellen Freiheit und dem Kampf gegen das Patriarchat. Leary wird zum Star der Popkultur, sein Name ein Markenartikel wie die Beatles oder Che Guevara.

Dennoch hat er die Ablehnung der Akademiker nie ganz überwunden. „Ein Harvard-Professor, das war doch das letzte, was ich sein wollte, das ist doch ein Todeskuß“, ereifert sich Leary in unserem Gespräch. Doch die Heftigkeit, mit der er reagiert, straft seine Antwort Lügen. So gerne er auf seine vielen wissenschaftlichen Schriften hinweist – insgesamt 40 Bücher hat er veröffentlicht –, so gern bedient er sich auch eines fachlichen Vokabulars. Fragt man ihn nach den Vorzügen eines LSD- Trips, spricht er von Neurotransmittern und Synapsen, von genetischen Funktionen und dem menschlichen DNS-Design.

Vor krassen Realitäten verschließt er dagegen Auge und Ohr. Nach jüngsten Statistiken sind Drogen wieder schwer im Kommen: Ob Marihuana, Koks, LSD, Ecstasy oder Heroin, es wird sich wieder berauscht, was das Zeug hält. Und zwar in allen Altersgruppen und in allen sozialen Schichten. Eine Umfrage unter amerikanischen Schülern ergab, daß 17 Prozent der 13- bis 14jährigen und 40 Prozent der 16- bis 17jährigen einschlägige Drogenerfahrungen haben. Besonders angesagt unter den Kids: Heroin. Anders als in den 60er und 70er Jahren ist mit dem Drogenkonsum jedoch keine bestimmte Lebenshaltung verknüpft. Gedrückt, geraucht und getrippt wird in Dance Clubs und im Klassenzimmer, im Büro und auf der Straße. Zur Bewußtseinsveränderung der Gesellschaft, wie Leary das einst vorausgesehen hat, ist es jedoch nicht gekommen. Aus der Gegenkultur wurde Konsumkultur. Ob ihn diese Entwicklung enttäuscht? Doch da blockt der Drogenfan ab. Was die heutige Jugend treibe, wisse er nicht, sagt er lapidar, um dann wieder über die 120 Milliarden Neuronen zu sprechen, die dem menschlichen Gehirn als Denkmasse zur Verfügung stehen.

Es ist schwierig, Leary wirklich nahezukommen. Nicht nur weil er auf konkrete Fragen immer wieder mit vorgefertigten, schon x-fach verbreiteten Sätzen antwortet. Das kommt vor, wenn man viele Bücher geschrieben, Hunderte von Vorträgen gehalten und schon Tausende von Interviews gegeben hat. Aber unser Gespräch wird immer wieder von Telefonanrufen unterbrochen. Mitten im Satz springt Leary dann plötzlich auf, verläßt den Raum und kommt erst nach einer, zehn, fünfzehn Minuten zurück. Ich sitze derweil dumm rum, bewundere den schönen Poolbillard-Tisch vor dem Kamin oder schmuse mit Bobo, Learys blindem Retriever-Rüden. Er scheint der einzige hier im Haus zu sein, der zugibt, daß er alt und schwach ist.

Leary hat immer noch viele Anhänger. Auf seinen angekündigten Tod in der LA Times kam körbeweise Post. Nicht nur wohlwollende. „Sein Einfluß wird in zahllosen jungen Menschen weiterexistieren, deren rebellischer Geist von der übelsten Person, die die Wissenschaft je hervorgebracht hat, ausgebeutet wurde. Leary mag sterben, aber Millionen zerstörte Existenzen werden ihn überleben“, schrieb Robert L. Miller aus Thousand Oaks in einem Leserbrief. Ich frage Leary, ob ihm solche Kritik etwas ausmacht. Statt einer Antwort haut er wütend mit der Faust auf den Tisch und reißt mir den Zeitungsausschnitt aus der Hand. „Das ist schockierend“, japst er, „das habe ich überhaupt nicht gelesen.“ Gutmeinende Freunde haben ihm die bösen Briefe offenbar vorenthalten. Jetzt liest er laut und kann sich gar nicht mehr beruhigen.

Die Fassade des glücklichen Gurus, der seinem Tod gelassen entgegenblickt und längst Abschied genommen hat von dieser Welt, bricht vollends zusammen. Er schreit nach Chris, nach Sioban, fragt Bill Dailey. Der Antiquar stammelt verlegen und wenig überzeugend, daß er sie nicht gesehen habe. So wenig kennen ihn die Menschen in seiner Nähe, daß sie nicht wissen, wie nötig er öffentliche Reaktionen, gerade auch negative, zum Leben braucht. Leary ist süchtig nach Anerkennung. Er war zeitlebens ein Mann der Medien. Seine Aktionen, ob nun Psilocybin-Trips in Harvard, Bed-Ins mit John Lennon oder Cybersex-Promotion im Internet, wurden immer auch um ihres Showeffekts willen geplant. Er braucht die Öffentlichkeit für seine Selbstinszenierung so sehr, wie ihn die amerikanische Drogenbehörde zur Abschreckung brauchte.

Für die US-Regierung wird der rebellische Professor zum Sündenbock ihrer verfehlten Drogenpolitik. 1970 verurteilen sie ihn zu 30 Jahren Gefängnis – wegen zwei winziger Joints im Auto. Mit seiner spektakulären Flucht – Leary hangelt sich am Telefonkabel über die Gefängnismauer – macht er noch einmal Schlagzeilen. Nach drei Jahren auf der Flucht wird er 1973 schließlich in Afghanistan gefaßt und wandert für fast drei Jahre in den Knast. Als er 1976 endlich frei kommt, ist die Hippiezeit vorbei.

Damals läßt er sich in Los Angeles nieder. Aus dem großen Propheten wird ein Party-Entertainer der Hollywood Crowd. Er schreibt seine Autobiographie, versucht sich als Schauspieler in Filmen, deren Titel heute keiner mehr kennt, entwickelt Drehbücher, die nie verfilmt werden. Ende der 80er Jahre dann springt er auf den neuesten Trend der Westcoast auf: Cyberspace, elektronische Realitäten, Datenautobahnen, internationale Computernetze. „Ich bin einfach auf dieser Welle mitgesurft“, sagt er freimütig. „Eigentlich habe ich nie etwas anderes gemacht, als auf Wellen zu surfen.“ Welch nobles Eingeständnis für einen großen Selbstdarsteller. Einen Moment lang glaube ich gar, einen echten Anflug von Bescheidenheit zu erkennen. Bevor ich jedoch tiefer bohren kann, ist der Meister schon wieder mit dem Telefon verschwunden.

Essen mit Onkel Tim. Später dann steigt wieder eines von Learys Death-Ins. Die Interviewzeit ist ohnehin längst abgelaufen. Leary ist müde. Allmählich trudeln immer mehr Leute ein: Bob Guccione Jr., der Herausgeber des Trendblattes SPIN Magazine, will für seinen Wahlpatenonkel italienisch kochen. Perry Farrell, ein exzentrischer Musiker und Promoter, dessen Band Porno for Pyros heißt, erzählt Leary euphorisch von seiner neuseten Methode zur Steigerung der Leistungskraft: „ficken ohne abzuspritzen“. „Man muß das männliche Sperma unbedingt zurückhalten“, rät er dem Mann mit dem Prostataleiden. Dean, ein PR- Mann vom Fernsehsender FOX5, bekommt einen roten Kopf. Er ist aus geschäftlichen Gründen hier und will jetzt nicht seine Orgasmustechniken diskutieren. Maria, eine junge, sehr schöne Amnesty- international-Aktivistin, kichert amüsiert. Leary geht nach nebenan und holt die Drogen. „Leider nur Gras und ein bißchen Kokain“, entschuldigt er sich. Seine Gäste stürzen sich gierig auf das Metalltablett.

„Ich versuche, jede Droge mindestens einmal im Jahr zu nehmen, einfach aus Prinzip, weil ich mir von der Regierung nicht vorschreiben lasse, was ich mit meinem Körper mache“, hatte mir Leary am Nachmittag noch erzählt. Was er dann aber während unseres Gesprächs zu sich nimmt, ist absolut legal: Benson & Hedges light und tassenweise Kräutertee. An den herumgereichten Joints zieht er später nur einmal pro forma.

Guccione kocht penne a la rabiata. Kaum steht das Nudelgericht auf dem Tisch, schaufeln es zehn Leary-Freunde auch schon mit vielen „Mmmhs!“ und „Aaahs!“ und noch mehr Schlucken kalifornischen Rotweins weg. Daß der Meister selbst, dem zu Ehren das Dinner ja gegeben wird, noch gar nicht am Tisch sitzt, scheint niemanden zu stören. Die Nudeln sind höllisch scharf. Leary trägt seinen Teller unberührt in die Küche und kommt schließlich mit einem Stück zarter Melone wieder.