Zwischen Orient und Okzident

Die zweite Generation der in Berlin lebenden Türken hat sich in unabhängigen Kulturzeitschriften ein Forum geschaffen. An der Zweisprachigkeit scheitern die meisten  ■ Von Zonya Dengi und Halil Can

Heftig und hitzig wird noch über einzelne Feinheiten und Modalitäten diskutiert. „Der letzte Satz paßt da gar nicht rein“, kommentiert der „Kreuzberger“ Özcan (27) die Theaterkritik von Özgür (23), „am besten wir nehmen ihn ganz raus“. Doch Özgür läßt sich auf keinen Kompromiß ein: „Wenn's sein muß, nehme ich den Artikel ganz raus.“ Die Diskussion nimmt ihren freien Lauf. Nach langem Tauziehen einigt man sich darauf, den Artikel so zu nehmen, wie er ist. Bis in die Nacht hinein werden weitere Texte besprochen und verbessert. Es ist Redaktionsschluß, und die neue Ausgabe muß rechtzeitig in Druck.

Yazinca (dt.: „literarisch“) ist eine türkisch- und deutschsprachige Kultur- und Literaturzeitschrift, die seit zwei Jahren von „türkischen“ Jugendlichen der zweiten Generation herausgebracht wird. Sie ist ein Projekt des Jugend- und Kulturvereins Birikim e.V. (deutsch: Ansammlung) und wird finanziert von der Werkstatt der Kulturen in Neukölln. Als Kultur- und Literaturzeitschrift greift sie mehr und mehr aktuelle politische Themen auf. Geschrieben wird beispielsweise über den „politischen Islam in der Türkei“ und „Die Geschichte der Sinti und Roma“.

„Ein Teil von uns ist Türkei, der andere Teil Deutschland. In uns sind zwei Kulturen vereint. Genau damit wollen wir uns auch in der Yazinca auseinandersetzen“, sagt Erhan (24). Diese Auseinandersetzung drückt sich vor allem in eigener Lyrik und Prosatexten aus. Die Zeitschriftenlandschaft wird innerhalb der zweiten Generation jedoch nicht nur von der Yazinca repräsentiert. Mittlerweile ist eine Vielzahl von Zeitschriften entstanden, mit einer Auflage von wenigen hundert bis maximal eintausend Exemplaren. In keiner anderen deutschen Stadt ist das Bedürfnis nach Selbstdarstellung innerhalb der MigrantInnenkinder so groß wie in Berlin.

Gerade weil Berlin nicht den Charakter eines Schmelztiegels hat, erfahren die einzelnen ethnischen Gruppen durch das Zusammenleben verschiedener Kulturen ihre eigenen „Färbungen“. Um diese vielfältigen „Färbungen“ zu definieren, setzen sich kleine Gruppen der zweiten Generation aus der Türkei, mit verschiedenen Konzepten, zusammen. Die zweite Generation will sich weder als Deutsche noch als Türken bezeichnen, erst als Berliner können sie die Individualität wahren, die ihnen am Herzen liegt.

Die türkischsprachige Kreuzberger Zeitschrift Ekin (deutsch: die Ernte) war 1984 die erste, die es wagte, über Themen der MigrantInnen zu schreiben. Neu war, daß man nicht nur betroffenenorientiert war, sondern die Zeitung von Betroffenen gemacht wurde. Obwohl sie nicht als eine Zeitschrift der zweiten Generation bezeichnet werden kann, ist sie dennoch ein Vorbild für die heutigen jungen Zeitschriftenmacher. Ekin mußte bereits vor etlichen Jahren ihre Arbeit einstellen, da das Bezirksamt Kreuzberg sämtliche Gelder gestrichen hat.

Erst 1987 wurde von seiten der zweiten Generation der erste Versuch zur Selbstartikulation unternommen. In Kreuzberg entstand die Zeitschrift Mosaik und in Schöneberg die Kauderzanca. Ursprünglich stand das freie Schreiben im Vordergrund der Projekte. Nach und nach entwickelten sich aus diesen Projekten Gruppen mit konkreten Inhalten.

Die Zeitschrift Kauderzanca ist heute ein interkulturelles Projekt, das sich immer mehr an aktuellen Themen orientierte: „Töchter zwischen Orient und Okzident“, „Migranten und Medien“ oder „Doppelte Staatsbürgerschaft“ sind nur ein paar Beispiele aus ihrem Themenrepertoire. Besonders auffallend ist ihre journalistische Herangehensweise an politische Themen; Literarisches nimmt nur einen kleinen Platz ein. Kauderzanca (der Titel ist ein Wortspiel aus den Begriffen „Kauderwelsch“ und dem türkischen Äquivalent „tarzanca“) erscheint seit Bestehen nur in deutscher Sprache.

Das unabhängige Projekt konnte sich nur durch Unterstützung des Asta der Freien Universität (FU) und der Technischen Universität (TU) halten, da ihm keine öffentliche Hilfe gewährt wurde. Finanzielle Schwierigkeiten, interne Konflikte sowie private Probleme der Redaktionsmitglieder sorgten für einen Zusammenbruch des Projektes. Nach einer zweijährigen Pause kam die Zeitschrift kürzlich mit einem veränderten Konzept wieder auf den Markt.

Besonders aufschlußreich für die Probleme dieser Zeitschriften ist das Schicksal von Mosaik, das zu dem gleichnamigen Verein gehört. Anfänglich arbeitete man an einer zweisprachigen Zeitschrift, die vor allem jungen BerlinerInnen die Möglichkeit bot, eigene Texte zu veröffentlichen. Die Schwierigkeiten, die sich aus der Zweisprachigkeit ergaben, führten zu einer Krise. Es entstanden zwei verschiedene Zeitschriften: das deutschsprachige Mosaik und das türkischsprachige Mozaik.

Seitdem interessieren sich auch Menschen deutscher Muttersprache für das Projekt. Die deutschsprachige Literaturgruppe hat sich zu einer Schreibwerkstatt entwickelt, die sich in verschiedenen Schreibstilen übt. Trotzdem sind aktuelle politische Themen, wie die türkische Kurdenpolitik, Gegenstand häufiger Diskussionsrunden. Während die anderen Literaturzeitschrfiten entweder deutsche oder türkische Literatur übersetzen, wird in Mosaik die kurdische Literatur in Übersetzung vorgestellt. Dadurch soll zwischen den Kurden, Türken und Deutschen eine friedliche Dialogebene geschaffen werden. Nicht selten grenzen die Diskussionen an Tabubrüche.

Das türkischsprachige Mozaik entwickelte sich dagegen innerhalb kurzer Zeit zu einer anspruchsvollen Intellektuellenzeitschrift. Die Redaktionsmitglieder waren im Vergleich zu Mosaik, bis auf ein paar Ausnahmen, „erfahrene“ Literaten, die sich in ihren Texten mit der zeitgenössischen Literatur kritisch auseinandersetzten. Der Aspekt der „Interkulturalität“ wurde immer weiter in den Hintergrund gedrängt, vielmehr ging es um die Literatur an sich. Viele Redaktionsmitglieder hatten ihre Sozialisation schon in der Türkei erfahren und sind erst später nach Deutschland gekommen. Folglich waren sie mit der türkischen Sprache vertrauter und orientierten sich literarisch eher an der Türkei.

Die verschiedenen Ansichten über Kunst oder Literatur führten zu zahlreichen Diskussionen und Konflikten, die der Gruppe von Mozaik ein Ende setzten. Mit der neuen Gruppe veränderte sich auch der „elitäre“ Anspruch. Die Zeitschrift steht seitdem jedem offen, der sich in irgendeiner „literarischen“ Weise mit der zweiten Generation beschäftigt.

Es scheint beinahe selbstverständlich zu sein, daß sich die Zeitschriftenmacher in neue Projekte stürzen, sobald sich eine Gruppe auflöst. So entstand beispielsweise die Ezgi (deutsch: Melodie). Die Kerngruppe kommt von Yazinca und Mosaik, auch Mitglieder anderer gescheiterter Projekte sind mit von der Partie. Die Macher der monatlichen türkischsprachigen Kultur- und Kunstzeitschrift Ezgi betrachten sich deshalb scherzhaft als „die Besten aus allen Gruppen“. Die selbstfinanzierte Zeitschrift richtet sich besonders an türkischsprechende Intellektuelle, auch hier steht die Literatur im Mittelpunkt.

Neben Übersetzungen von Elias Canetti, Pablo Neruda, Erich Fried und eigenen Texten, die Erfahrungen des Lebens in Berlin und Sprachveränderungen reflektieren, werben sie für Akzeptanz in der Türkei, wo sie als „Deutschländer oder Eingedeutschte“ verurteilt werden. Sie wollen damit zeigen, daß sie zum einen in zwei verschiedenen Kulturen sozialisiert sind, aber gleichzeitig auch eine eigenständige Gruppe darstellen, die, geprägt durch ihre Erfahrung, in Berlin „Neues“ erschafft. Zaghafte Versuche, sich mit der Türkei kritisch auseinanderzusetzen, sind auch hier erkennbar.

Für das in türkischer Sprache erscheinenden Lyrik-Faltblatt Kuslama (deutsch: Flugblatt) und das Lyrik-Blatt Siirlik (Ort des Gedichts) ist die Sprache von großer Bedeutung. Themen, die die zweite Generation betreffen, beeinflussen diese kaum oder nur gering. Obwohl diese Zeitschriften vornehmlich die Sprachentwicklung des Türkischen mit prägen oder mit beeinflussen wollen, ist es ihnen wichtig, das Augenmerk auf Berlin zu lenken. Denn hier erfährt die türkische Sprache eine ganz eigene Entwicklung, die nicht zu trennen ist von der alltäglichen Erfahrung der Menschen.

In all diesen Redaktionen arbeiten überwiegend StudentInnen. Das Studium ist aber kein Bezugspunkt für die Texte. Als einzige studentische Zeitschrift erscheint die BTBTM, die das Organ des gleichnamigen türkischen Studentenvereins ist, der von der Technischen Universität (TU) finanziert wird. Während beispielsweise die Kurdenfrage in der Türkei früher eher einseitig aus der türkisch-nationalistischen Perspektive dargestellt wurde, gibt man jetzt auch etwas kritischeren Stimmen Raum. Die quartalsweise erscheinende Zeitschrift bietet Themen von Stupa-Wahlen bis Umwelt, von Frauen bis zweite Generation, von Islam bis Demokratie. Durch Sensibilisierung der Studentenschaft soll eine Artikulationsplattform geschaffen werden.

Eine Zeitschrift ganz anderer Art ist inisyatif (Initiative). Mit Sitz in Kreuzberg arbeitet sie bundesweit „gegen Rassismus und Faschismus“ und ist politisch eindeutig links orientiert. Ihre Themen behandeln Neofaschisten, „Republikaner“, Graue Wölfe, Ausländerrecht. Ihre Leserschaft sind meist Deutsche, und ihr Ziel ist die Politisierung der Jugend.