■ 9.November
: Gedenken an die Pogrome

Eine ganze Anzahl von Initiativen und Gruppen wollen heute der Reichspogromnacht von 1938 gedenken. So wird der Bund der Verfolgten des Naziregimes heute um 11 Uhr einen Kranz am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus am Charlottenburger Steinplatz niederlegen. Eine Initiative von SchülerInnen des Reinickendorfer Gabriele-von-Bülow-Gymnasiums ruft sämtliche SchülerInnen der Berliner Oberschulen zu einem Gedenkmarsch mit brennenden Kerzen zum Deportationsmahnmal am Bahnhof Grunewald auf. Treffpunkt: 16 Uhr am Rathenau-Gedenkstein an der Koenigsalle Ecke Erdener Straße. Ihre Beteiligung zugesagt haben auch die Auszubildenden der Landespolizeischule Berlin. Am Mahnmal selbst wird eine Kundgebung stattfinden, auf der unter anderem der Wilmersdorfer Bezirksbürgermeister Horst Dohm (CDU) reden wird.

Im Rathaus Lichtenberg, Raum 18, ist weiterhin die Ausstellung „Juden in Lichtenberg“ zu besichtigen, die am vergangenen Samstag vom Kulturbund und Kulturring in Berlin eröffnet wurde. Und in der Hochschule der Künste in der Hardenbergstraße findet heute die zentrale Abschlußveranstaltung der Jugendkampagne gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz und Unite & Act statt. Im Foyer wird ab 16 Uhr der „Markt der Möglichkeiten“ mit Infoständen verschiedener Initiativen angeboten, im Konzertsaal wechseln sich ab 19 Uhr Redebeiträge, Lesungen und Kompositionen ab. Der jüdische Oberkantor Estrongo Nachama wird den Abend mit einem Lied zum Gedenken an die Toten beschließen.

Unter dem etwas martialisch anmutenden Motto „Kein Vergessen! Kein Vergeben! Wir greifen ein!“ ruft die Antifaschistische Initiative Moabit für heute ab 17 Uhr zu einer Demonstration „zum Gedenken der Opfer der nationalsozialistischen Judenpogrome von 1938, aber ebenso auch der heutigen Opfer von Rassismus und Ausgrenzung“ auf. Treffpunkt: Das Mahnmal für die ehemalige Synagoge in der Levetzowstraße in Tiergarten, Nähe U-Bahnhof Hansaplatz. Während der Auftaktkundgebung soll das Bild der Synagoge an einer Handwand projiziert werden. Zwischenkundgebungen sind am Krankenhaus Moabit, vor dem Knast Moabit und dem Abschiebeknast Kruppstraße geplant.

Vor Verdrängung und Vergessen angesichts des 57. Jahrestages der Pogromnacht haben auch Politiker gewarnt, gleichzeitig aber auch auf das Datum des Mauerfalls vom 9.November 1989 hingewiesen.

Die sogenannte Reichskristallnacht 1938 stehe für den furchtbarsten Verlust, den die deutsche und europäische Kultur durch die Vertreibung der Juden und den Holocaust erlitten habe, erklärte Kultursenator Ulrich Roloff-Momin (parteilos). Die heute um sich greifende „Abstumpfung gegenüber dem Grauen der Naziverbrechen“ überlagere die Erinnerungsarbeit. Der 9.November sei ein „Tag des tiefsten Schmerzes und des höchsten Glücks“, weil mit dem Mauerfall in Deutschland die Nachkriegszeit zu Ende gegangen sei.

Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien (CDU) bewertete den 9.November als „spannungsreiches Datum für Deutschland“. Die Pogromnacht 1938 und der Mauerfall 1989 verlangten nicht nur Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch Verantwortungsbewußtsein gegenüber der Gegenwart. Vor diesem Hintergrund müßten jetzt zukunftsorientierte Entschlossenheit und Gemeinsamkeit die Arbeit für die Stadt bestimmen.

SPD-Fraktionschef Klaus Böger erinnerte daran, daß nach dem 9.November 1938 etwa 12.000 Berliner Juden in Konzentrationslager deportiert wurden, wo Tausende umkamen. Zugleich forderte Böger dazu auf, mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen jene vorzugehen, die die Opfer des jüdischen Volkes verhöhnen, indem sie den Massenmord öffentlich leugnen. Sie seien die „geistigen Brandstifter“, die den Nährboden für rechtsextremistische Anschläge bereiten. usche/ ADN