Deutsche Seefahrt erst halbtot

■ Deutscher Großreeder Hapag-Lloyd flaggt vielleicht doch nicht aus: Deutsche Seeschiffahrt noch nicht ganz am Ende

Hamburg (taz) – „Die Flagge Singapurs wird noch nicht morgen über den Schiffen von Hapag- Lloyd wehen.“ Günter Dickhausen vom DGB-Bundesvorstand, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei der Hapag-Lloyd AG, hatte aus der gestrigen Aufsichtsratssitzung von Deutschlands größter und erfolgreichster Reederei wenigstens eine Teilentwarnung mitgebracht: „Die Lage ist wieder offen. Es wird verhandelt.“

Damit hat der Reederei-Vorstand sein Vorhaben, seine letzten 16 deutschbeflaggten Schiffe wie auch die fünf geplanten Neubauten im Wert von 1,2 Milliarden Mark in Singapur registrieren zu lassen, vorläufig zurückgestellt. Aber, so warnte ÖTV-Seefahrtschef Dieter Benze: „Das Problem ist nicht vom Tisch.“

Vordergründig geht es um lediglich 400 von noch 550 deutschen Seearbeitsplätzen und Einsparungen von gerade mal bis zu 40 Millionen Mark pro Jahr bei einem derzeit gut verdienenden deutschen Unternehmen, das stramm auf Expansionskurs segelt. In Wahrheit steht jedoch eine ganze Branche vor dem Aus. Flaggt die führende Reederei komplett aus, dann werden über kurz oder lang alle anderen deutschen Schiffe folgen. Jürgen Söncksen, Konzernbetriebsrat der inzwischen hauptsächlich von Reisebüros und Flugreisenden lebenden Großreederei: „Die deutsche Seeschiffahrt wäre damit beendet.“

Für Hapag-Lloyd ist das Ganze ein schlichtes Rechenexempel. Ausgeflaggte Container-Linienschiffe kosten ein bis zwei Millionen Mark pro Jahr weniger – auch wenn die Lohnkosten nur 5 Prozent der gesamten Schiffsbetriebskosten ausmachen. Spielten früher nationale Überlegungen eine Rolle – das Bundesverteidigungsministerium wollte Hapag-Lloyd- Schiffe im Krisenfall requirieren, so spielen solche Sentimentalitäten heute keine Rolle mehr.

Verhandelt wird jetzt nur noch, ob die Hapag-Schiffe künftig unter deutscher Billigflagge, dem Zweitregister fahren. Das Zweitregister schreibt vor, daß zumindest 7 deutsche Seeleute und Offiziere nach deutschen Tarifen bezahlt werden, die restliche Besatzung erhält sogenannte „Heimatländer-Tarife“. Eine Rettung der deutschen Seeschiffahrt kann allerdings auch das Zweitregister nicht bringen. Bonn soll vielmehr durch Steuererleichterungen für Seeleute die Deutsche Flagge preislich auf internationales Billigniveau absenken, ein Weg, den die Niederlande am 1.1.1996 einschlagen wollen. Florian Marten