Juppe spricht und sagt nichts

■ Keine Annäherung zwischen Regierung und Gewerkschaften

Frankreichs Gewerkschaften haben gestern beschlossen, ihre Streiks weiter auszudehnen. Zusätzlich zu öffentlichem Verkehr, Post, Telefon, Elektrizitätsbetrieb und zum Teil die LKW-Versorgung sollen ab heute mehrere Fluggesellschaften sowie die Banque de France und weitere Schulen bestreikt werden. Das ist die Antwort auf die Auftritte des französischen Premierministers Alain Juppé im Parlament und im Fernsehen am Vorabend.

Am Dienstag nachmittag hatte Juppé sich im Parlament einem aufgrund der stabilen Regierungsmehrheit eher symbolisch gedachtem Mißtrauensvotum der Sozialisten stellen müssen. Streckenweise geriet die Debatte zum Eigentor für die Opposition: Statt Versäumnissen der Regierung Juppé, die seit sieben Monaten im Amt ist, prangerten konservative Redner die Fehler der vorausgegangenen 14 Jahre Mitterrandismus an. Die lägen am Ursprung der gegenwärtigen Misere.

Juppé sprach, während landesweit Demonstrationen von über einer halben Million Menschen gegen seine Politik stattfanden. Seine Rede war von einem radikalen „Entweder-Oder“ geprägt. Das Land stehe am Scheideweg: Entweder es saniere seine Wirtschaft oder es stürze in den Abgrund. „Ich bleibe bei meinem Reformprojekt“, rief er entschlossen. Zugeständnisse an die Streikenden machte er nicht. Er zeigte sich lediglich bereit, über die Rentenregelungen im öffentlichen Dienst „zu sprechen“. Für die kommende Woche lud er die Sozialpartner „zu einer Konzertation“ ein.

Bevor die konservative Mehrheit ihm erwartungsgemäß das Vertrauen aussprach, sprach Juppé im selben Atemzug vom Grundrecht auf Streik und dem „Grundrecht auf Arbeit“, das die Streikenden gegenwärtig behinderten. Er zeigte Verständnis für die „einfachen Streikenden“ und bezichtigte die Opposition und die Gewerkschaften der „Lügen“.

Zwei Stunden später versuchte der Premierminister im Fernsehen, Einzelheiten seines umstrittenen Reformprojektes zu erklären. Es sei nicht wahr, daß auch die Schwächsten zusätzliche Steuern und Abgaben zahlen müßten, versicherte er. Und wenn die Bahngesellschaft SNCF und die hochverschuldete Sozialversicherung nicht heute saniert würden, könnten sie den Franzosen bald gar nicht mehr dienen. Mit Maastricht hätten seine Reformvorhaben nur bedingt zu tun: „Ob mit oder ohne Maastricht, ein großes Land kann nicht ewig mit dieser Schuldenlast leben.“ Am Ende versicherte Juppé, daß er „mit Kopf und Herz“ eine Zukunft für Frankreich wünsche, und die Angst seiner Landsleute, vor allem die vor der Arbeitslosigkeit, verstehe.

All diese Bemühungen brachten wenig. Der Franc-Kurs fiel gestern weiter, der Wirtschaftsminister Jean Arthuis revidierte die Wachstumsprognose für 1996 nach unten. Rechte und linke Gegner der Maastrichter Verträge verlangten einen Aufschub der europäischen Währungsunion um mindestens zwei Jahre. Die Sprecher der Gewerkschaften wiederholten, daß sie auf ein Verhandlungsangebot der Regierung warteten. „Hält der uns eigentlich für bekloppt“, fragt sich nach Juppeś Auftritt eine junge Frau, die für 6.000 Francs (ca. 1.760 Mark) im Büro eines Rathauses arbeitet und keinen Centime mehr an Abgaben zu zahlen bereit ist. „Der will einen Bürgerkrieg“, entgegnet ein Kollege. Dorothea Hahn, Paris