„Fraktion am Rande der Spaltung“

■ Bündnisgrüner Abgeordneter Helmut Lippelt über den Machtpoker in seiner Partei

taz: Herr Lippelt, mit dem Abstimmungsergebnis – keine grüne Mehrheit für den Antrag der Bundesregierung – ist Ihre Fraktion ganz knapp einer absoluten Brüskierung des Parteitages entgangen.

Helmut Lippelt: Die Zahl der Enthaltungen hat sich noch etwas vergrößert, worüber wir alle sehr froh sind.

Hat die Parteihygiene gesiegt?

Nein, die Partei hat uns deutlich gebeten, den Antrag abzulehnen. Für die Grünen ist es ein ernstes Problem, sich über den Parteitagsbeschluß hinwegzusetzen.

Sie selbst haben sich um den Parteitagsbeschluß nicht geschert.

Meine Position stand schon lange vor dem Parteitag fest. Und es wäre ganz inkonsequent gewesen, wenn gerade ich die Parteiräson höher werten würde. Ich weiß aber, daß man der Basis rechenschaftspflichtig ist, wenn man von Beschlüssen abweicht. Es war eine Ausnahmesituation, wie sie alle fünf Jahre vorkommt.

Der Parteitag hat einen eigenen Antrag der Fraktion verlangt. Wo ist der geblieben?

Wir haben vorgestern fünf Stunden beraten ...

...und fürchterlich gestritten. Ein Teil der Fraktion ist sogar ausgezogen ...

...davon sind einige wieder zurückgekommen. Es war sehr kompliziert. Ludger Volmer hat einen eigenen Antragsentwurf vorgelegt und ich ebenso, gemeinsam mit Gerd Poppe. Beide Anträge waren sich politisch ziemlich nahe. Unser Antrag schien der Mehrheit klarer zu sein. Der Klärungsversuch Volmers führte zur Verschärfung seines Antrags. Unser Entwurf hatte bei einem Meinungsbild mehr Stimmen – er sollte aber die bündnisgrünen Abgeordneten nicht auf ein Abstimmungsverhalten im Bundestag festlegen. Die Diskussion entartete zu einem machtpolitischen Poker.

Ihre Gruppe hat doch die Mehrheit; sie hätte sich durchsetzen können.

Wenn eine Fraktion so hart am Rande der Spaltung ist, soll man den Bruch nicht noch vertiefen.

Frieden in Bosnien – Krieg bei den Grünen?

Die ganze Fraktion wußte, wie schwierig es sein würde, einen Beschluß der Bundesdelegiertenkonferenz umzusetzen, den die Mehrheit der Abgeordneten so nicht tragen konnte. Ich habe aber geglaubt, daß ein gemeinsamer Antrag möglich wäre, wenn man die kontroversen Elemente rausläßt. Aber dazu braucht es guten Willen von beiden Seiten, und das war von Volmer und seinen Freunden nicht gewollt. Außerdem hätten sich die wirklichen Pazifisten dann verbiegen müssen, was wiederum wir nicht wollten. Man kann doch beide Positionen so stehen lassen und akzeptieren.

Was wollen Sie tun, damit Ihnen die Fraktion nicht um die Ohren fliegt?

Jeder Abgeordnete, der für den Regierungsantrag gestimmt hat, muß sich um das Vertrauen der Basis bemühen ...

Das kittet die Fraktion nicht wieder zusammen.

Die Fraktion hat ein sehr glückliches erstes Jahr hinter sich gebracht. Ich denke, ein so guter Arbeitsansatz kann helfen, die Kontroverse zu überbrücken.

Es ist ja bald Weihnachten, da sind fromme Wünsche durchaus angebracht. Interview: Bascha Mika