Kakteen und Pesos für den Führer

■ Es war eine Art Parallel-Universum zum Aufstieg und Fall des deutschen Faschismus: Cuini Amelio-Ortiz hat die Geschichte des argentinischen "Hotel Eden" dokumentiert (So., 21.15 Uhr, 3sat)

Leicht schwankend, wie auf hoher See, durchfährt die Kamera den morbiden Speisesaal der Hotelruine. Vorbei an hohen Säulen und brüchigem Stuck, in Richtung Gegenlicht ertönen sich überlagernde Hitler-Reden und Heil- Rufe. Ein 60 Jahre altes Echo, 10.000 Kilometer von Deutschland entfernt, inmitten der argentinischen Sierra. La Falda heißt der Ort. Dort hat die argentinische Dokumentarfilmerin Cuini Amelio-Ortiz ihre Kindheit verbracht. Das etwas abgelegene, einst luxuriöse „Eden Hotel“ samt idyllischer Parkanlagen war für sie und ihre Freunde nichts als ein gigantischer Abenteuerspielplatz. Wer hätte gedacht, daß von dort aus, zu einem nicht unwesentlichen Teil, Hitlers Wahlkampf finanziert worden war?

„Hotel Eden“ ist mehr als die Familienchronik der globetrottenden Brüder Eichhorn aus Leipzig, die 1912 das Luxushotel samt 3.000 Hektar Brachland auf Pump erwarben und dann, weil sie aus reiner Finanznot Grundstücke verkaufen mußten, zu den Stadtvätern des heutigen La Falda wurden. Was ihnen vorschwebte, benannten sie „eine deutsche Kulturtat“.

Und somit wird das aufstrebende La Falda zu einer Luftspiegelung des erwachenden Dritten Reichs. Die Eichhorns sind eng mit dem „Lieben Herrn Hitler“ befreundet, von Anfang an, schon als dieser, gerade aus dem Knast entlassen, in einer schäbigen Münchner Zweizimmerwohnung hauste. Sie sind derart beeindruckt von dem kleinen Mann, daß sie ihm fortan Kakteen schicken, Asthma- mittel und vor allem viele Pesos – im Vergleich zur inflationären Rentenmark eine harte Währung.

Hitler hat ihnen das nie vergessen, und so ist aus den vielen Briefen, die er nach Argentinien geschrieben hat, ein äußerst unformaler, fast sanfter Diktator herauszuhören. Verstärkt wird dieser intime Eindruck noch durch den Sprecher der Briefe, der genau diesen introvertiert kindlichen, bisweilen verbissenen Tonfall findet.

„So darf ich Ihnen, lieber Herr Eichhorn, und Ihrer so verehrten Frau Gemahlin denn auch an dieser Stelle danken für die Art und Weise, in der Sie mir wenigstens einen Teil meiner Sorgen abnehmen“, heißt es in einem sechsseitigen Brief vom 2. Febraur 1930. „Ich weiß, wie sehr Sie an unserem Werk hängen, an unserem gemeinsamen Werk, und ich weiß, wie für Sie selbstverständlich der schönste Dank das Werden dieses unseres Werkes ist. Ich bin früher in vielen Dingen ein Prophet gewesen und habe wenigstens im Großen meist recht behalten. Ich habe fast nie über die Zeit des Erfolges unserer Bewegung prophezeit. Heute kann ich das mit fast hellsehender Sicherheit. Lieber Herr Eichhorn, wenn mich das Schicksal gesund erhält und nicht ungeahnte Katastrophen kommen, wird das deutsche Volk in zweieinhalb bis drei Jahren den tiefsten Punkt seiner Erniedrigung verlassen haben. Ergebenst Ihr Adolf Hitler.“

Cuini Amelio-Ortiz läßt in ihrem Dokumentarfilm „Hotel Eden“ heute noch in La Falda lebende Zeitzeugen zu Wort kommen, wie da wären, um nur einige zu nennen: der ehemalige Hotelkellner, der über den miesen Sold lästert; ein über 80 Jahre alter Offizier der „Graf Spee“, der im besten Stakkato-Deutsch den glorreichen Untergang seines Panzerschiffes heraufbeschwört; der Sohn des jüdischen Arztes, dem die Spee-Matrosen auf die Plakette spuckten; der Sohn des Uhrmachers aus Sachsen-Anhalt, der als einziger Deutscher der nazistischen Selbstherrlichkeit seiner Stadtpatronen entgegengetreten ist; die Enkelkinder Eichhorn, schwankend zwischen offener Bewunderung für die Pioniertat ihrer Großeltern und einem defensiven Schamgefühl („Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf, aber ...“)

Das „Hotel Eden“ ist wie ein Parallel-Universum zum Aufstieg und Fall des deutschen Faschismus. Wenn auch die harmlosere Variante: Zur Endlösung kam es dort nicht, und der Krieg blieb fern. Gerade deshalb wird man den Eindruck nicht los, daß die deutschtümelnde Keimzelle im Land nach wie vor toleriert und gehätschelt wird. Viele Einheimische sprechen zwar von der Ruine als Nazi-Bunker, die historischen Fakten sind jedoch nicht bekannt. Statt dessen zieht man es vor, mit abergläubischer oder kalkulierter Demut von negativen Kraftorten zu sprechen, von unterirdischen Tunnelsystemen und daß manchmal die Eichhorn-Gattin als mondbleiches Phantasma durch die Ruine kichert.

Die Legenden, die die Regisseurin im Gespräch aufzählt, lassen etwas erahnen von dem faustischen Selbstbildnis als Übermensch- Eichhörner, das die Stadtväter ihrer „Schaffung“ eingehaucht haben müssen. Und tatsächlich, nachdem sie das Hotel 1947 verkaufen und von der öffentlichen Bildfläche verschwinden, verliert sich die Geschichte im nebulösen Nichts. Vergeblich hält die Filmemacherin nach Besiegten oder Siegern Ausschau. Nazis? Wo? Widerstandsgruppen? Keiner bekennt sich. Die heutigen Hotelbesitzer? Eine ausgerissene Seite im Katasterbuch.

Viele Nazigrößen auf der Flucht fanden in La Falda sicheren Unterschlupf, und was mehr ist: ein heimeliges Klima. Die Enkel von Adolf Eichmann leben noch hier, ja. Und andere? Sicherlich war La Falda die erste Anlaufstelle. Aber vor laufender Kamera hat es keiner zugegeben. Adrián Berlinyer