Schriften zu Zeitschriften
: Akademie der bösen Künste

■ Schockästhetik revisited: Die neue, poptheoretische Musikzeitschrift „Testcard“

Als Mitarbeiter des Punk- und Hardcore-Fanzines Zap lauscht Martin Büsser seit Jahren auf das Echo, das aus der Geschichte der jugendlichen Verweigerungsmusiken herüberhallt. Und immer noch bezieht er daraus die leise Hoffnung, daß nicht alles verloren ist – „wenn nur die Kraft da ist, weder den blöden Videoclips von bunttätowierten Blökern noch den Pfadfindern nationaler Identität das letzte Wort zu überlassen“.

Im Kampf ums letzte Wort, um das Modell einer zukünftigen Ästhetik des Widerstands, wie Büsser sie auch in seiner kürzlich erschienenen Geschichte des Hardcore „If The Kids Are United“ (siehe taz vom 29. 12. 95) skizziert, gründete er zusammen mit dem Mainzer Literaturwissenschaftler Johannes Ullmaier die Musikzeitschrift Testcard. Testcard wie: Testbild, Sendepause, Störung. Oder wie der Titel jenes seltsamen Instrumentals, mit dem sich die britische New-Wave- Band This Heat 1978 vorgenommen hatte, zeitliche und räumliche Konventionen des Hörens aus den Angeln zu heben.

Das Interesse an den Schnittstellen von Pop und Avantgarde zieht sich wie ein roter Faden durch die erste Nummer dieser „Beiträge zur Popgeschichte“. Unter dem Heftmotto „Pop und Destruktion“ geht es vor allem um die eine Frage: Wie läßt sich der ästhetische Negativismus der historischen Avantgarde-Bewegungen mit den Intentionen des Pop in Einklang bringen? Johannes Ullmaier ahnt den Zusammenhang bereits in der Einleitung. Was sich von Dada bis Fluxus „in kontrastiven Collage-Verfahren, Schockästhetik, gattungssprengenden Überschreitungen, direktem Aktionismus und vieles mehr manifestiert, findet sich im Pop als Selbstbekenntnis zu bedingungsloser Hingabe an die vitalistisch erfüllte Gegenwärtigkeit“ wieder: „Pop will auf den Knall, den unmittelbaren Effekt, die unvermittelte Wirkung hinaus und findet darin sein Wesen.“

Daß dieser Knall nicht unbedingt mit „linken“ Zielen vereinbar ist, hat spätestens der Erfolg deutscher Nazi-Rockbands gezeigt. Einen Grund, sich deswegen von der Jugendkultur zu verabschieden, sehen die Testcard- Herausgeber dennoch nicht. Statt „holistischer Allverwerfungen“, die Authentizität und Vitalismus „zur Freude jener diskreditieren, denen das von außen her schon immer destruktiv erschienen war“, empfiehlt Ullmaier, sich auf „die nicht mehr ganz so hippe Tradition konkreter und gegenstandsbezogener Ideologiekritik“ rückzubesinnen.

Auf den Spuren noch „unschuldiger“ Popmusiken (liebstes Leitmotiv: der „frühe Punk“) reanimieren Büsser und Ullmaier so die Strategien der historischen Avantgarden, Kunst in Lebenspraxis zu überführen, für eine Popästhetik, die sich konsequent jeder Norm entziehen soll. Die Sounds, die sie dazu – jenseits der Kulturindustrie – auftun, machen in der Tat Ernst mit der Verweigerung. Ob Laibach, Throbbing Gristle, die australische Industrial-Band SPK oder der musizierende Neofuturist Jean-Marc Vivenza – gemeinsamer Bezugspunkt dieser Klein- und Mikromusiken bleibt das Manifest, das Avant-Punk GG Allin der Nachwelt auf einer seiner letzten Platten hinter die Ohren schrieb: Es geht um die „Befreiung des Rock'n'Roll aus den Klauen der Industrie und den idealistischen Teilen des Underground sowie seine Wiedergeburt als schlechthin Böses“.

Das geht in Ordnung – auch wenn das böse Kind, dem hier unter akademischen Mühen ans Licht der Welt verholfen wird, nicht immer auch wirklich böse brüllt. Im Gegenteil. Mit Volkshochschulischem zu HipHop, Fan-O-Tönen aus Industrial City und spezialistischen Plattenschrankrevisionen bewegt sich die Mehrzahl der Gastbeiträge eher in einem recht gesitteten Rahmen.

Es sind vor allem die Herausgeber selbst, die hier – Zerstörung im Sinn – an der (Re-)Konstruktion einer negativen Ästhetik basteln. Im gegenwärtigen Popuniversum mit seiner nahezu flächendeckenden Ordnung von Spaß, Cross-over und Identitätenpluralismus sehen sie dabei zwar nicht selten wie hoffnungslose Dogmatiker aus. Aber was ist im Ernst gegen eine Akademie der bösen Künste einzuwenden, die Lieblingsstoffe behandelt – allerdings nicht mehr als visionärer Wurf und Sinngebung, sondern als kritisches Gegenlesen der aktuellen Popdiskurse. Dietrich Roeschmann

„Testcard – Beiträge zur Popgeschichte“ Nr. 1 (1995), 25 DM. Zu beziehen über: Testcard-Verlag, Postfach 1145, 55 272 Oppenheim