Hexe fegt über Kakaoplantagen

Ein Pilz, fallende Weltmarktpreise und die Prasserei der Plantagenbesitzer beenden in Brasilien die Ära der „goldenen Frucht“  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Über Kakao mag der brasilianische Schriftsteller Jorge Amado keine Worte mehr verlieren. „Ich schreibe nur über das, was ich kenne“, lehnt der 84jährige Schriftsteller jede Bitte nach einem neuen Werk über die „goldene Frucht“ aus seiner Heimat Bahia ab. Amados Romane spielen in einer Zeit, als Brasiliens Kakaobarone im Bundesland Bahia uneingeschränkt über Leben und Tod herrschten und ihren Reichtum in Europa verpulverten.

Ausgerechnet in dem Moment, in dem Brasiliens Bevölkerung Heißhunger auf Schokolade verspürt, liegen die Plantagen des ehemals größten Kakaoproduzenten der Welt brach. Eine mysteriöse Pilzkrankheit und fallende Weltmarktpreise sind ein Teil der Krise. Auf der anderen Seite ereilte Brasiliens Kakaobarone dasselbe Schicksal wie einst die Herren über Kautschuk, Goldminen und Kaffeeplantagen: Der Mangel an Investitionen rächt sich.

Den Niedergang vom verschwenderischen Reichtum zu ungewohnter Bescheidenheit deutete Amado in seinen Romanen bereits an. Praßsucht und Profitstreben bekam den ausgedehnten Plantagen in seiner Heimat Bahia nicht. „Wir dachten, wir wären mit unserem Kakao allein auf der Welt. Das war ein Fehler“, bekennt heute der Großgrundbesitzer Weldon Souza Setenta. Wenn die Gewinne investiert worden wären, merkt der ehemalige Kakaobaron selbstkritisch an, wäre das brasilianische Armenhaus Bahia heute so wohlhabend wie die Schweiz.

Die Konkurrenz aus Afrika und Asien verdarb den Brasilianern seit den siebziger Jahren gründlich das Geschäft. In den letzten zehn Jahren steigerte die Elfenbeinküste ihre Ernte von 400.000 auf 884.000 Tonnen jährlich und schwang sich damit zum größten Kakaoproduzenten weltweit auf. Brasilien, das gerade ein Viertel davon anbaut, kämpft nach Ghana und Indonesien mit Malaysia um den fünften Platz auf der Weltrangliste. Das Überangebot brachte die Preise auf dem Weltmarkt ins Purzeln. Für eine Tonne werden heute nicht mehr als 1.300 US-Dollar gezahlt. Während der goldenen siebziger Jahre kassierten die Hersteller pro Tonne 4.500 US-Dollar.

Der aktuell schlimmste Feind der brasilianischen Kakaobarone wütet jedoch auf den Plantagen selbst. Es handelt sich um einen mysteriösen Pilz aus dem Amazonas, im Volksmund „Hexenbesen“ genannt. Er trocknet die Früchte und Blätter der Kakaosträucher aus und fegt somit die Ernte hinweg. Zwei Drittel der 667.000 Hektar Kakaoland in Bahia leidet unter dem Besen. In den letzten zehn Jahren sank die Produktion von 327.000 auf 220.000 Tonnen. Nicht nur 150.000 Landarbeiter verscheuchte die Hexe in die Stadt. Die ruinierten Barone selbst müssen sich jetzt nach neuen Verdienstmöglichkeiten umschauen.

Dabei entdecken die Brasilianer gerade ihre Vorliebe für Schokolade. Brasiliens rund 150 Millionen Einwohner gönnen sich jährlich eineinhalb Kilo Schokolade pro Kopf – 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Vergleich zur Schweiz, die mit einem jährlichen Prokopfverbrauch von zehn Kilogramm weltweit an der Spitze liegt, ist das zwar recht bescheiden. Doch die Wachstumsaussichten haben bereits zwei ausländische Firmen, darunter der italienische Konzern Ferrero, zum Bau einer eigenen Fabrik in dem größten südamerikanischen Land bewegt. Bislang teilten in Brasilien der Schweizer Konzern Nestlé und die beiden brasilianischen Firmen Lacta und Garoto genüßlich den Schokoladenmarkt unter sich auf.

„Wenn der Appetit auf Schokolade anhält, müssen wir Kakao importieren“, prophezeit Wellington Gevaux von dem brasilianischen Marktführer Garoto. Für den deutschen Firmeninhaber Helmut Meyerfreund wäre dies nichts Außergewöhnliches. Schon jetzt importiert er Bananen für seine Schokoriegel aus Ecuador, Kokosraspeln aus Sri Lanka und Milch aus Neuseeland und Australien.

Unterdessen haben die Plantagenbesitzer im südlichen Bahia die Motorsäge angeworfen. Die Bäume, die den Kakaosträuchern einst lebensnotwendigen Schatten spendeten, werden zu Möbeln verarbeitet. Einige der Baumriesen, die zur wertvollen Vegetation des brasilianischen Küstenwaldes Mata Atlantica gehören, sind über hundert Jahre alt. „Die Barone brauchen Geld“, meint Umweltschützer José Augusto vom Entwicklungszentrum für Südbahia. „Umweltvorschriften sind ihnen egal. Sie roden um jeden Preis.“ Die Herren aus Bahia stehen bei Brasiliens Banken mit 150 Millionen US- Dollar in der Kreide.

Für die Jagd auf die Hexe haben sie keine Zeit mehr. Als wirtschaftliche Alternativen bleiben den Kakaobaronen nur noch Viehzucht, Holzwirtschaft und Tourismus. An die rauschenden Feste eleganter Nachtschwärmer mit prall gefüllten Geldtaschen in der Kakaometropole Ilhéus erinnert heute nur noch die Lektüre von Amados Roman „Gabriela, Zimt und Nelken“. Das Luxusbordell Bataclan dient als Mülldepot. Und am Hafen von Ilhéus legte im April letzten Jahres erstmals ein niederländischer Frachter mit „goldenen Früchten“ aus Afrika an.