Soziale Demontage, Unternehmensgeschenke, Ökoblindheit: mit diesen drei Grundelementen und einem 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeit will die Bundesregierung die Deutschland GmbH runderneuern und Arbeitsplätze schaffen. A

Soziale Demontage, Unternehmensgeschenke, Ökoblindheit: mit diesen drei Grundelementen

und einem 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeit will die Bundesregierung

die Deutschland GmbH runderneuern und Arbeitsplätze schaffen. An den Erfolg glaubt niemand

Die Bonner Roßkur für Arbeit

Die 50 Punkte der Bundesregierung, die sie als Maßnahmenbündel in das mit Gewerkschaften und Unternehmerverbänden verabredete „Bündnis für Arbeit“ einbringen will, suggerieren Aktivität im Kampf um Arbeit. Weil die statistisch ausgewiesene Massenarbeitslosigkeit demnächst die magische Viermillionengrenze überschreitet und eine reale Unterbeschäftigung von mehr als sieben Millionen Menschen den Zusammenhalt der Gesellschaft ernsthaft bedroht, soll die Wende mit einem Kraftakt herbeigeführt werden.

Die Krise ist nicht mehr zu verleugnen. Sie hat sich längst von den Rändern der Gesellschaft in die ökonomischen Kernbereiche des Modells Deutschland hineingefressen. Auch für jene, die nicht persönlich von Arbeitslosigkeit, Ausgrenzung und sozialem Abstieg betroffen sind, gehört das für Jahrzehnte bundesdeutscher Sozialgeschichte prägende Gefühl sozialer Sicherheit und verläßlicher wirtschaftlicher Prosperität endgültig der Vergangenheit an.

Es mag ein gewisser Zynismus darin liegen, daß sich nun ausgerechnet eine Regierung, die über dreieinhalb Legislaturperioden nichts getan hat, zum Vorkämpfer gegen die soziale Krise aufspielen kann. Was soll geschehen? Bislang liegen zwei Erklärungen vor: zunächst das gemeinsame Papier von Bundesregierung, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden vom 24. Januar und nun, als Konkretisierung des regierungsseitigen Beitrags zum „Bündnis“, der 50- Punkte-Katalog.

Er will die unternehmerische Initiative insbesondere bei Neugründungen und Innovationen stärker unterstützen und die Lohnnebenkosten senken. Dazu werden noch Steuervereinfachungen und -senkungen, etwa beim Solidarzuschlag, angekündigt. Gleichzeitig ist in dem angekündigten Paket implizit der Verzicht auf Eingriffe in die autonome Regelungskompetenz der Tarifparteien enthalten. Der Flächentarifvertrag bleibt, entgegen früherer Ankündigungen, unangetastet, das ist für die Gewerkschaften wichtig.

Die IG Metall hatte seinerzeit ihr Bündnisangebot an zwei Bedingungen geknüpft: die Bundesregierung sollte auf weiteren Sozialabbau verzichten, und die Arbeitgeber der Metallindustrie sollten schon 1996 etwa 100.000 neue Arbeitsplätze schaffen. Unter diesen Bedingungen sei die IGM 1997 zu einem Lohnabschluß in Höhe des Inflationsausgleichs bereit. Der Produktivitätszuwachs könne dann von den Unternehmern für arbeitsplatzschaffende Investitionen verwendet werden. Es ist schon heute klar, daß diese Bedingungen der Gewerkschaften nicht erfüllt werden. Weder wird es die zusätzlichen Arbeitsplätze geben (bestenfalls einen Stopp beim Arbeitsplatzabbau), noch wird der Sozialabbau beendet.

Im Gegenteil: In dem 50-Punkte-Katalog wird die soziale Demontage bereits konkret: Einschränkungen bei Kuren, bei der Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes, in den Zumutbarkeitsregeln beim Übergang von Qualifikations- zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, bei der Frühverrentung. All diese Maßnahmen stehen in der Tradition eines schon seit Jahren praktizierten scheibchenweisen Abbaus sozialstaatlicher Absicherungen und Fördermaßnahmen. Sie heben den Sozialstaat nicht auf, aber sie begrenzen und durchlöchern ihn. Und jeder kann sich an fünf Fingern ausrechnen, daß die angekündigten Steuersenkungen weitere soziale Einschnitte notwendig machen.

Es wird den Gewerkschaften schwerfallen zu erklären, warum sie ihre Vorbedingungen an die Bundesregierung so umstandslos fallengelassen haben.

Beide Dokumente, die gemeinsame „Bündnis-Erklärung“ und der 50-Punkte-Katalog, formulieren als Ziel, die statistische Arbeitslosigkeit in Deutschland bis zum Jahr 2000 auf die Hälfte zu senken. Sie haben damit – ohne es für das Publikum offenzulegen – auf eine schon 1994 von führenden Arbeitsmarktexperten formulierte „Berliner Erklärung zur Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000“ zurückgegriffen. Aber offensichtlich bezieht sich das nur auf den vielversprechenden Titel, nicht auf den Inhalt. Denn in der Denkschrift werden zwei entscheidende Instrumente zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit genannt: eine weitreichende Umverteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzungen und eine deutliche Erweiterung der aktiven Arbeitsmarktpolitik nach dem Motto „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“. Davon ist in den jetzt vorliegenden Dokumenten nichts zu lesen.

Auch die arbeitsplatzschaffende ökologisch-soziale Steuerreform ist – nach 20 Jahren ökologischer Wachstumskritik – nicht einmal erwähnt. Statt dessen wird auf „Standortverbesserung“ und Wachstum gesetzt. Wirtschaftspolitik aus der Mottenkiste. Es ist schon jetzt vorauszusehen, daß mit den angekündigten Vorhaben das Problem nicht zu lösen sein wird. Als Machterhaltungsstrategie der Regierung mag das Programm vielleicht taugen. Martin Kempe