Trauriges Shopping in Belgrad

Die Belgrader spüren immer drastischer die wirtschaftlichen Auswirkungen von Krieg und Embargo. Bald die Hälfte der Bewohner Restjugoslawiens lebt unterhalb der Armutsgrenze  ■ Aus Belgrad Georg Baltissen

Die Wintersonne hat an diesem Februarsamstag trotz der Schneemassen zwar viele Leute in die Belgrader Innenstadt gelockt. Aber Menschen mit prall gefüllten Einkaufstaschen sind auf den Straßen der jugoslawischen Hauptstadt eine Rarität. In den Regalen der Lebensmittelabteilung der Einkaufskette Teorpas Terrasije in Belgrads belebter Einkaufsstraße ist die Auswahl bei alkoholischen Getränken noch am größten, auch wenn die Regale nur mal mit der Ein-Liter, mal mit der Halb-Liter Flasche des heimischen Brandys gefüllt sind. Milchwaren und Wurst gibt es ausreichend, aber Gemüse und Obst sind rar und teuer. Importwaren sucht man trotz Aufhebung des Embargos vergeblich.

Nach einer Studie des Belgrader Instituts für Wirtschaft (AIM) müssen 78 Prozent der Familien mit Kindern mit umgerechnet weniger als 350 Mark im Monat auskommen. Dabei kostet ein Kilo heimischer Wurst immerhin zwölf Mark, brauchbare Schuhe gibt es erst ab 80 Mark aufwärts, und Benzin ist immer noch Mangelware. An den Straßen des Landes wird es in Kanistern zu Preisen zwischen 1,80 und zwei Mark pro Liter feilgeboten. Nach Angaben von Wirtschaftswissenschaftlern hat sich der Lebensstandard in den vergangenen fünf Jahren um fast 20 Prozent verringert.

Im landesweiten Durchschnitt sind die Einkommen noch um 100 bis 200 Mark niedriger als in der Hauptstadt. Gemessen am europäischen Standard leben laut AIM-Studie 44 Prozent der Bevölkerung in Restjugoslawien unterhalb der Armutsgrenze. Die Bevölkerung im völlig verarmten Kosovo weigerte sich allerdings, an der Untersuchung des Belgrader Instituts teilzunehmen. Sonst wären die Zahlen noch weitaus drastischer ausgefallen.

Noch wird die Armut dadurch gemindert, daß die Bevölkerung auf dem Land zumeist in eigenen Häusern lebt und mehr als die Hälfte des täglichen Bedarfs aus eigener Produktion absichern kann. Doch allein die Tatsache, daß viele Menschen Waren und Dienstleistungen schon nicht mehr in Geld bezahlen können, ist nach Meinung der Belgrader Wirtschaftsforscher ein Indikator dafür, daß die Armut eher noch steigen wird.

Demgegenüber bezeichnet AIM drei Prozent der Bevölkerung als reich im europäischen Vergleich. Dieser Reichtum beruht aber vor allem auf Kriegsgewinnen; er wird nicht dazu genutzt, die Produktion zu erhöhen oder neue Investitionen zu tätigen. Der Ausstoß von Industriegütern in Serbien und Montenegro ist nicht einmal mehr halb so hoch wie vor Kriegsausbruch.

Bislang sieht es nicht so aus, als ob Jugoslawiens Präsident Slobodan Milošević mit dem Abkommen von Dayton und der Aufhebung des Embargos nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich noch rechtzeitig die Kurve kriegt. Die Privatisierung der jugoslawischen Staatswirtschaft ist jedenfalls in großen Teilen ein noch völlig ungelöstes Problem.