Spielregeln des Sambabiz

■ Der Chef der Sambaschule bestimmt, wer nackt tanzen darf

„Mitsubishi Brasiliens“ nennen viele BewohnerInnen Rios das größte brasilianische Volksfest. Wie die japanische Automarke ist der Karneval ein Verkaufsschlager, dessen Produktionsablauf perfekt durchorganisiert ist. Um einen prachtvollen Umzug auf die Beine zu stellen, muß eine Sambaschule knapp zwei Millionen Mark investieren. Nur die 16 Sambaschulen aus der 1. Liga, genannt „Grupo Especial“, können sich diesen Aufwand leisten. Zum Karnevalsmeister wird gekürt, wer bei Rhythmus, Kostüm, Choreographie, Umzugsmotto und Musik die beste Note holt.

„Daß Karneval nach wie vor das Vergnügen der armen Leute ist, ist eine Illusion“, stellt Wagner Araujo, Vorsitzender der Sambaschule „Imperatriz Leopoldinense“ klar. Zwar rekrutierten die Sambaschulen ihre Mitglieder nach wie vor aus ihrem Stadtviertel. Doch für die meisten BewohnerInnen der Armenviertel seien die Kostüme mittlerweile zu teuer. Die Sambaschule, zweifacher Karnevalsmeister, widmet in diesem Jahr ihren Umzug der österreichischen Erzherzogin Leopoldine, Ehefrau des brasilianischen Kaisers Pedro I, und maßgebliche Persönlichkeit bei den Verhandlungen zur Unabhängigkeitserklärung Brasiliens im Jahr 1822. Knapp ein Zehntel der Umzugskosten, rund 160.000 Mark, übernimmt die österreichische Regierung. Den Rest finanziert die Schule aus dem Kostümverkauf sowie Eintrittsgeldern zu den Proben.

Für die Vermarktung des Karnevals haben sich Rios Sambaschulen zu einer mächtigen Liga zusammengeschlossen. Der Plattenverkauf der Karnevalshits, die Einnahmen aus den Übertragungsrechten für Fernsehanstalten aus aller Welt und die Eintrittskarten für den „Sambadromo“, der eigens für den Umzug angelegten Prachtallee im Zentrum von Rio, bringen der Liga Millionen von Dollar ein. Grundsätzlich kann jeder beim Umzug mitmachen. Doch ein einfaches Kostüm kostet um 500 Mark. „Viele stottern ihr Kostüm das ganze Jahr über in Raten ab“, erklärt Dona Neuma, Ehrenpräsidentin der traditionellen Sambaschule „Mangueira“. TouristInnen, die sich in letzter Sekunde zur Teilnahme am Karnevalsrausch entschließen, müssen für ihre Verkleidung teurer bezahlen.

„Wer zahlt, kann mitlaufen“, faßt Karnevalsmeister Wagner Araujo die Spielregeln zusammen. „Doch wer hoch oben auf dem Wagen tanzt, bestimme ich.“ Kandidatinnen, die sich oben ohne zeigen wollen, müssen bei dem Chef von „Imperatriz Leopoldinense“ persönlich vortanzen. „Wenn das Mädchen vor mir Hemmungen hat, wie soll es dann erst vor dem Millionenpublikum im Sambadromo sein?“, so Araujo. Die Tänzerinnen müssen für ihren Auftritt nichts bezahlen.

Unzählige Näherinnen, Klempner, Schreiner und Elektriker werden gebraucht, um die glitzerne Scheinwelt zusammenzubasteln. In Rio de Janeiro und in anderen Karnevalshochburgen wie Salvador und Recife boomt die Karnevalsbranche das ganze Jahr. Denn eine „Folkloreshow“ gehört für die meisten Rio-TouristInnen einfach dazu. Wenn die Besuche abflauen, brechen die Karnevalsveranstalter zu Sambatourneen ins Ausland auf. Lieblingsort: Japan. Im Land der Mitsubishi werden brasilianische SambatänzerInnen für ihr Rhythmusgefühl und ihre Ausgelassenheit besonders bewundert. Astrid Prange