Tanker gerettet, Desaster perfekt

■ Mindestens 70.000 Tonnen Öl sind aus dem leckgeschlagenen Tanker „Sea Empress“ ausgelaufen. Bis alle Auswirkungen der Katastrophe bekannt sind, wird es Monate dauern

Milford Haven (taz) – „Es handelt sich nicht mehr nur um einen sehr ernsten Zwischenfall, wir stehen vor einer Katastrophe“, sagt Tony Prater von der Königlichen Gesellschaft für Vogelschutz. Fünf bis zehn Prozent der Seevögel sind bereits von dem Öl des vor der Küste von Südwestwales leckgeschlagenen Tankers „Sea Empress“ vergiftet.

Bis zu 100 Kilometer Küste sind verschmutzt, und der Wind hat begonnen, auf West zu drehen und weiteres Öl aus dem Meer in Küstennähe zu treiben. Zwischen 70.000 (Küstenwache) und 80.000 Tonnen (Greenpeace) Öl sind aus dem lecken Tanker ausgelaufen, bevor das Schiff in der Nacht zum Donnerstag von den Felsen am Kap St. Anne's Head heruntergeholt und in den Hafen von Milford Haven gebracht wurde.

Dickes Öl, „wie Schokoladenpudding“, hat nach Angaben des „Bysed Wildlife Trust“ mehrere Stellen an der West- und Nordseite der als Vogelparadies geschützten Insel Skomer verschmutzt. „Mehrere hundert Möwen und Kormorane“, so gestern Margaret Brooks vom Trust, der die Insel verwaltet, seien betroffen. Die geschädigten Stellen sind zumeist steile Felsenküsten, was die Verschmutzung verringert, aber auch Aufräumarbeiten extrem erschwert. Öl ist inzwischen auch an entfernteren Stellen der West- und Südküste von Wales gesichtet worden, wenn auch die dichtesten Konzentrationen nach wie vor auf offener See treiben. „Die Prozentzahl der verschmutzten Vögel steigt“, warnte gestern Brian Pawson von der staatlichen Landschaftskommission für Wales. „Man sollte die Auswirkungen des Öls nicht unterschätzen.“

„Es wird Monate dauern, bis die volle Auswirkung bekannt ist“, sagt Bob Powell, pensionierter Ölingenieur und freiwilliger Mitarbeiter eines Naturschutzvereins. „Man wird erst später sehen, wie sich das Öl durch die Lebensmittelkette arbeitet.“ Phil Rothwell von der staatlichen Vogelschutzbehörde RSPD sagt: „Die meisten Vögel kommen ja gar nicht an den Strand. Sie sterben draußen auf dem Meer.“

Der beschädigte 130.000-Tonnen-Tanker hat über die Hälfte seiner Ladung verloren. Hunderte von Einheimischen schauten zu, als eine zwölf Boote starke Armada von Schleppern die „Sea Empress“ am Mittwoch abend von den Felsen losmachte, auf denen sie zwei Tage lang festgesessen hatte. Das Schiff war vorher mit Luftpumpen unter Hochdruck gesetzt worden wie ein aufblasbares Gummispielzeug, um es beweglich zu machen. Bei der ganzen Rettungsaktion ging noch mehr Öl verloren. Nun ruht der Tanker in Sichtweite von Angel Bay, einer der schon am stärksten verschmutzten Strände der Gegend. Heute will die Küstenwache beginnen, das restliche Öl auf kleinere Schiffe umzuladen.

Während Einsatzleiter Steven Dennison sich gestern „erfreut über den Abschluß der ersten Phase der Rettung“ äußerte, waren Naturschützer weniger begeistert. „Seit zwölf Stunden ist das Schiff jetzt da verankert, und noch immer hat man keine Ölbarrieren drum herum gelegt“, wunderte sich gestern früh Judith Phillips vom „Bysed Wildlife Trust“. Zu diesem Zeitpunkt floß nämlich wieder ungehindert Öl aus dem Tanker in die Flußmündung von Milford Haven. Auch am Abend war das ausströmende Öl noch nicht gestoppt.

„Die ganze Aktion kam viel zu spät“, sagt Phillips. „Sie hätten das schon am Freitag machen können. Jetzt ist die Katastrophe da.“ Dominic Johnson

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