Japans Aids-Opfer klagen Bayer an

■ Der Konzern soll jahrelang HIV-infizierte Blutkonserven geliefert haben. 400 Opfer starben

Tokio (taz) – HIV-infizierte Bluter in Japan haben gestern schwere Vorwürfe gegen die deutsche Bayer AG erhoben. Im Namen von 400 Blutern, die sich durch unbehandelte Blutkonserven mit Aids infiziert hatten und seit 1989 gegen Bayer, vier weitere Konzerne und die japanische Regierung Klage führen, sagte der Sprecher von infizierten Blutern, Ryuhei Kawada: „In Japan stirbt alle fünf Tage ein Opfer des Bluter-Skandals, doch die verantwortlichen Unternehmen gestehen ihre Schuld nicht ein und entschuldigen sich nicht.“

Wie in in Deutschland und anderen Ländern hatten Behörden und Konzerne auch in Japan zwischen 1983 und 1985 unbehandelte Blutkonserven zugelassen und vertrieben, obwohl die Verantwortlichen wissen mußten, daß beim Gebrauch dieser Produkte die HIV-Infektionsgefahr sehr hoch war. Nach japanischen Zeitungsberichten lieferte Bayer sogar bis 1988 unbehandelte Blutprodukte an Japan aus. Infolgedessen infizierten sich 2.000 von 4.000 Blutern mit dem Aidsvirus. Annähernd 400 sind bis heute gestorben.

Die Vorwürfe gegen Bayer, die mit vier weiteren Firmen den Markt für Blutkonserven in Japan kontrolliert, wurden gestern erhoben, nachdem das Gesundheitsministerium seine Verantwortung für den Skandal eingestanden hatte. Aus Unterlagen war hervorgegangen, daß Beamte bereits 1983 von der Gefahr HIV-kontaminierter Blutkonserven erfahren hatten, jedoch erst 1985 die Behandlung mit ungefährlichen Produkten einführten.

Danach hatte Gesundheitsminister Naoto Kan getan, was zuvor noch kein Regierungsmitglied gewagt hatte: den Staat eines Verbrechens für schuldig erklärt. Kan war es auch, der das zuständige Bayer-Vorstandsmitglied in Leverkusen, Walter Wenninger, zu einem Gespräch einlud, das in der vergangenen Woche in Tokio stattfand. Für eine angestrebte Vergleichslösung benötigen nämlich das Tokioter Ministerium und die HIV-infizierten Kläger das Einverständnis aus Leverkusen. Dort sagte Unternehmenssprecher Thomas Kleinert gestern die Bereitschaft des Bayer-Konzerns zu, an einer „schnellen und vernünftigen Lösung“ mitzuwirken. Zugleich erklärte Bayer, der Vorwurf, man sei an den Infektionen mitschuldig, sei „unbegründet“. Dennoch sei der Konzern aus humanitären Gründen bereit, gemeinsam mit der japanischen Regierung und anderen Firmen „einen konstruktiven Beitrag zu leisten“.

Den Beteiligten bleibt nicht viel Zeit: Ende März läuft die Frist für den Vergleich aus. Gibt es bis dahin kein Übereinkommen, kann der Prozeß weitere Jahre in Anspruch nehmen. Dabei haben die Gerichte die Latte für Regierung und Konzerne hoch angelegt: Der Vergleichsvorschlag sieht eine einmalige Entschädigungszahlung in Höhe von umgerechnet 630.000 Mark und außerdem monatliche Zuwendungen von bis zu 2.100 Mark pro Opfer vor. „Unser Fall ist der erste auf der Welt, der für alle Bluter-Opfer in einem Land eine Entschädigung auf so hohem Niveau vorsieht“, sagte Toshihiro Suzuki, Anwalt der HIV-infizierten Bluter. Für Multis wie Bayer ist der Fall problematisch, weil weltweit Zehntausende Bluter Forderungen nach gleicher Behandlung wie in Japan stellen könnten. G. Blume