Bleibe im Lande und urlaube redlich

■ Die deutsche Tourismuspolitik springt im Dreieck zwischen Skandal, Bedeutungslosigkeit und Strukturreform. Ein Gespräch mit Halo Saibold, der Vorsitzenden des Ausschusses für Fremdenverkehr

Halo Saibold sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Sie plädiert für eine Wende in der Tourismuspolitik, die der wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus ein politisches Gegengewicht gibt.

taz: Der fremdenverkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU, Olderog, will mindestens 6 Millionen der 60 Millionen Deutschen, die im Ausland urlauben, für Deutschland zurückgewinnen. Das mache 1,4 Milliarden Mark zusätzlich für die Steuerkassen von Bund, Ländern und Gemeinden aus. Wollen Sie das auch?

Halo Saibold: Die genannte Zahl ist bloßes Wunschdenken. Aus ökologischen, sozialen und ökonomischen Gründen sollten wir aber versuchen, von den 70 Milliarden Mark, die die Deutschen im Ausland ausgeben, ein großes Stück zurückzugewinnen. Das ist sinnvoller, als ständig mit hohem Einsatz von Steuermitteln zu versuchen, aus allen möglichen Erdteilen Gäste nach Deutschland zu holen.

Sie haben der DZT „jahrelang anhaltende Schlampereien und Kumpaneien“ vorgeworfen. Damit würden Sie das Ansehen der gesamten deutschen Tourismusindustrie schädigen, haben Ihnen die Tourismuspolitiker der CDU/ CSU und FDP-Bundestagsfraktionen vorgeworfen.

Diesen Vorwurf weise ich entschieden zurück. Im Endeffekt schaden diejenigen der Fremdenverkehrswirtschaft, die immer den Mantel des Schweigens über Mißstände gelegt haben. Man hätte die Probleme der DZT längst grundsätzlich angehen müssen. Aber seit 1987 erlebe ich nur irgendwelche Scheinaktivitäten.

Einige Bundesländer werben auf eigene Kappe im Ausland. Hessen zum Beispiel soll angeblich allein 14,5 Millionen Mark dafür ausgegeben haben. Und NRW-Wirtschaftsminister Clement will für das Land Nordrhein- Westfalen in Japan auf Werbetour gehen.

Gerade hat auch Baden-Württemberg durch Herrn Schaufler, dem Präsidenten des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes, mit Bayern eine Kooperation abgeschlossen, um den Süden Deutschlands gemeinsam im Ausland zu vermarkten. Seit Jahren präsentieren sich doch schon einzelne Städte und Regionen im Ausland, selbst in Hongkong. Das ist für mich ein Zeichen, daß sie mit der Präsentation der DZT nicht einverstanden sind. Offensichtlich wollen sie auch der DZT keine Gelder bereitstellen. Für mich ein weiterer Beweis, daß die DZT nicht zeitgemäß ist.

Sie setzen sich aber dafür ein, die finanziellen Mittel bei der Vermarktung des Tourismusstandorts Deutschland aufzustocken.

Die Bundesregierung hat bisher nichts getan, um die Akzeptanz für einen „Urlaub der kurzen Wege“ zu erhöhen. Angesichts der ökologischen Probleme des Fern- und insbesondere des Flugtourismus müssen wir ein Umdenken bei der Bevölkerung erreichen. Denn mittlerweile sind Fernreisen zum Statussymbol geworden. Jeder, der an Urlaub denkt, denkt automatisch an Flug und an Ausland.

Bleibe im Lande und urlaube hier?

Ökologisch sind Flugreisen ins Ausland wegen der Belastung der Ozonschicht nicht sinnvoll. Auch ökonomisch nicht, weil durch die Super-Billigangebote wie Last Minute viele Leute nicht mehr in der näheren Umgebung oder in Deutschland Urlaub machen. Deshalb fordere ich eine Akzeptanzsteigerungskampagne für eine andere Art des Urlaubs. Es gibt so viele Sachen, die Spaß machen und ein ganz anderes Erleben bringen. Zum Beispiel Radurlaub. Wenn ich mit dem Rad etwas er- oder befahre, habe ich ganz andere Eindrücke als drüberzufliegen. Das bedeutet Urlaub der kurzen Wege.

Das Herzstück Ihrer Reformvorschläge, die Sie auf der ITB vorgestellt haben, ist ein „Deutsches Institut für zukunftsfähigen Tourismus“. Eine Bund-Länder- Anstalt des öffentlichen Rechts.

Wir brauchen eine Schnittstelle zwischen der Tourismuspolitik von Bund und Ländern einerseits und Verbänden, Wirtschaft, Wissenschaft und Bürgern andererseits. Es geht nicht um ein „Steuern von oben“, sondern um die Bündelung und Effektivierung von oben. Eine zukunftsfähige Tourismusentwicklung ist nur möglich, wenn kooperativ und integrativ gehandelt wird. Dies wollen wir mit dem Institut fördern.

Sie wollen das Institut mit 40 bis 60 Millionen Mark pro Jahr ausstatten. Also in etwa mit dem Betrag, der bisher der DZT zur Verfügung steht. Was soll mit dem Geld passieren?

Wenn wir zum Beispiel im Inland eine Kampagne machen zur Akzeptanzsteigerung für eine andere Form des Urlaubs, dann kostet das natürlich entsprechend viel Geld. Mir geht es dabei – und auch der Regierung, der aber nur verbal – um die mittelständisch strukturierte Fremdenverkehrswirtschaft. Wir wollen keine neue Betten bauen, sondern Betten füllen. Es gibt Bedarf an konzeptionellen Grundlagen für zukunftsfähigen Tourismus. Hier kann das Institut Aufträge vergeben und Ergebnisse für politische Entscheidungen aufbereiten. Die Aufgaben der Fremdenverkehrsverbände sind davon nicht betroffen.

Derzeit häufen sich die Institutsgründungen: Am 9. März hat sich die „Deutsche Gesellschaft für Tourismuswissenschaft“ vorgestellt, am 12. März die Initiative für eine „Deutsche Akademie für Tourismus“. Diese versteht sich sogar als Ideengeber für Ihre Institutspläne.

Wir brauchen eine stärkere Anbindung der Aktivitäten an die Politik. Das kann die wissenschaftlich orientierte Akademie nicht leisten. Wir wollen eine Institution, die öffentliche und politische Aufgaben wahrnimmt und auf der politischen Seite die Voraussetzungen für eine vernünftige Tourismusentwicklung schafft. Daran mangelt es derzeit in der Tourismuspolitik.

Im Mai gibt es im deutschen Fremdenverkehrsausschuß eine Anhörung zum Thema „Wie stärken wir den Tourismusstandort Deutschland?“ Wo bleiben da ökologische Forderungen einer zukunftsfähigen Entwicklung im Sinne der Konferenz von Rio?

Ich möchte den Ökotourismus nicht nur als Marktnische sehen. Die Bündnisgrünen wollen aufzeigen, daß nur ein ökologisch und sozial verträglicher Tourismus zukunftsfähig ist und sich dabei auch noch wirtschaftlich rechnet.

Man hat inzwischen den Eindruck, daß sich ökologische Ideen nur noch über ihren ökonomischen Nutzen rechtfertigen lassen.

Die Gefahr ist derzeit groß, daß man sich mit Ökologie nur noch am Rande befaßt. Ich will in jedem Fall eine Ökologisierung. Deswegen möchte ich bald eine Anhörung zum Thema „Tourismus und Ökosteuern“ veranstalten. Eine ökologisch orientierte Politik wird nur dann tragfähig sein, wenn die strukturellen Bedingungen stimmen.

Wie könnte das aussehen?

Wir bräuchten so etwas wie ein Infrastrukturministerium, in dem man unter anderem Bereiche wie Verkehr, Raumordnung, Wirtschaft zusammenlegen könnte. Den Tourismus wie bisher beim Wirtschaftsministerium anzusiedeln, wird der Querschnittsorientierung des Tourismus nicht gerecht. Wir brauchen einen übergreifenden Ansatz für den Tourismus. Denn sonst wurschtelt jedes Ressort vor sich hin.

Der politische Stellenwert des Tourismus ist ja nicht gerade groß in Bonn.

Im Bundeswirtschaftsministerium stehen für den Tourismus nur gut 40 Millionen Mark für direkte Tourismusmaßnahmen zur Verfügung. Obwohl es immer weniger Landwirte gibt, hat das Landwirtschaftsministerium sage und schreibe elf Bundesforschungsanstalten. Der Tourismus hat nicht mal eine. Wir müssen uns in Zukunft fragen, welche Entwicklungen wir stärken wollen und welche verhindern. Die ohnehin knappen Haushaltsmittel müssen effizienter genutzt werden. Selbst die Bundesregierung sagt, daß die Tourismusbranche vom Volumen her inzwischen größer ist als die Landwirtschaft und die chemische Industrie, und daß sie gleichauf ist mit dem Maschinenbau und der Automobilindustrie. Und im Tourismus arbeiten etwa dreimal so viel Menschen wie in der Automobilindustrie. Das belegt doch eindeutig, daß wir für den Tourismus mehr Mittel verlangen müssen. Daß sich ganze sieben Leute im Wirtschaftsministerium mit Tourismus befassen und im Umweltministerium gerade mal 500.000 Mark im Jahr für Umweltschutz und Tourismus vorhanden sind, ist doch ein Witz.

Das Gespräch führten Christel

Burghoff und Günter Ermlich