N.Y. – State Of Mind

Letztlich sind noch alle dieser wunderbaren Stadt, der „wunderbaren Katastrophe“, vor die Füße gefallen. Und wir? Wir wollen Klischees, jawoll!  ■ Von Jan Feddersen und Alexander Heinz

Einmalig, wirklich einmalig, diese Brücke. Sogar das achte Weltwunder, wie ein Journalist damals, 1883, über dieses Kunstwerk schrieb: Elegant schwingt sie sich 41 Meter hoch über den Hudson River. Ihre großen, aufeinanderzulaufenden Stahlwellen, dieses Spinnennetz der Seile und wuchtigen Granitpfosten, umrahmen den schönsten Blick, den es auf die Stadt gibt, soviel ist gewiß: Im Morgendunst ragen die Wolkenkratzer in den Himmel. Sozusagen great. Unwirklich wie eine Spielzeuglandschaft und doch real, so sieht Manhattan aus. Oder wie Herr Heinz mit beeindruckend stark akzentuiertem Englisch einwirft: „Glaub's mir: „Bigger than life.“

Was nicht zuletzt die eiligen Anzugträger und Businessfrauen bezeugen, die an uns gen Manhattan vorbeieilen. Jene Halbinsel, die ein Niederländer 1624 für 24 Dollar, also zum Preis zweier Calvin- Klein-Unterhosen, doch ziemlich günstig erwarb. Ein grandioses Schnäppchen, ohne Krieg sogar erbeutet. Was für ein Versprechen, an und für sich: Stadt pur, Metropole, ohne ökologischen Schnickschnack, verkehrsberuhigte Zonen, alles sei Beton und Stahl und Menschen und Eile und Streß und Konsum. Kapitalismus pur.

Zwei Wochen zuvor. Das Telefon klingelt nachts um halb zwei. Aus dem Hörer schrillt die Stimme der Heinz. „Ich stehe auf dem Union Square“, läßt sie mich erregt wissen. Das Leben sei so pulsierend, wird atemlos berichtet. Und außerdem sähe es aus, als sei alles durcheinandergeraten. Schwarze. Gelbe. „Alles auf der Straße vertreten. Und eben ging eine vorbei, die sah aus wie Gladys Knight.“ – „Glaube ich nicht.“ – „Ich schwör's.“ Dann war das Geld alle.

Es war sowieso genug. Warum klingen alle Erfahrungsberichte aus New York bloß so ähnlich? Diedrich Diedrichsen war auch schon da. Hat wunderbar karikiert, daß alle das gleiche sehen. So Stories im Stile von: „Wie ein homosexueller schwarzer Jude sich in einem Restaurant in Harlem mit einem Texaner über Politik unterhält.“ Grauenvoll, diese Litaneien notorischer „Sachensucher“, als eiferten sie Pippi Langstrumpf nach, nervösen Hunden gleich, die erst mal überall ihren Strahl hinhalten müssen. Widerlich. Klischees, die sich als avantgardistische Duftmarken ausgeben.

Letztlich sind noch alle dieser Stadt, der „wunderbaren Katastrophe“ (Le Corbusier), vor die Füße gefallen. Und wir? Wir wollen Klischees, jawoll! Live. Sofort.

Ankunft im JFK International Airport. Enttäuschend komplikationslos. Kein puertoricanischer Taxifahrer, der mir unter dummen Vorwänden mein Gepäck raubt, auch dem prüfenden Blick der Einwanderungsbeamtin halte ich mehr oder weniger aufgeregt stand. Ihre Augen durchleuchten mich wie eins von diesen Röntgengeräten zum Auffinden von Bomben, doch offenbar gehöre ich nicht zu jenen, die im Verdacht stehen, sich hier vom Müllkutscher zum Immobilien-Tycoon hochschuften zu wollen. New York heißt nicht willkommen, die Stadt läßt nur eintreten. Entschärft verlasse ich die Sperre.

Sicherlich hatte ich nicht erwartet, daß Herr Heinz uns nun in einer zwölf Meter langen Stretchlimousine nach Manhattan chauffieren lassen würde. Doch mußte es ausgerechnet die U-Bahn sein, die uns vom Flughafen nach Manhattan bringt? Ganz so, als sei man gerade von Hannover nach Magdeburg gekommen, um mit der Straßenbahn in irgendeine Trabantenstadt verbracht zu werden. Keep cool: Bloß jetzt kein Streit, vielleicht wird man die Heinz noch brauchen. Und was sind schon 8.000 Kilometer Anreise, um bei einer „Studienreise“ zu assistieren?

Durch die karge Anreise auf alles vorbereitet, kann mich auch der Zustand des Hotels, in dem wir wohnen werden, nicht mehr schrecken. Das „Hotel Seventeen“, vom Reiseführer definitiv als günstigste Absteige in ganz Manhattan auserkoren, wird nun also die nächsten Tage unsere Heimat sein. Empörend, diese fehlende Aufmerksamkeit. Kein Glamour im Foyer, statt dessen gleichgültige Blicke des Concierge: „Have a nice time.“ Es klingt wie eine Drohung. Und hessisches Stimmengehaspel aus dem Souterrain, wo die beiden Telefone stehen, die auch wir benutzen dürfen: „Ja, Karlheinz, New York, do geht's tierisch ab, Spatzl.“

Anderntags, mittags, dort, wo der Broadway („Der Broadway!“) beginnt. Herr Heinz zieht nörgelnd anderthalb Meter hinter mir her. Verstohlen ziehe ich an einer Zigarette. Verurteilt schon als Outlaw am ersten Tag in Manhattan. Denn Rauchen ist hier per Gesetz in fast allen Restaurants verboten. Eine Frau sitzt im Mantel vor Starbuck's, einem Kaffeehaus, und sagt: „Es ist traurig, daß alles so gesund sein muß. Aber ich ergebe mich nicht. Noch lange nicht.“ Und saugt an ihrer Zigarette.

Natürlich wollen wir ins Museum. Und über die Brooklyn Bridge. Doch Herr Heinz macht sofort einen erlösenden Vorschlag. Angesichts der Tatsache, daß die amerikanische Erfahrungswelt in erster Linie eine des Konsums sei, sagt er, als verriete er die letzten Geheimnisse der Soziologie, sei es da nicht nur konsequent, sich den umliegenden Warenhäusern zu widmen? „Verschoben ist nicht aufgehoben“, stimme ich erleichtert zu. Das Guggenheim Museum hat eh geschlossen, es ist Donnerstag, und die Brücke wird schon

morgen noch stehen.

Einige Dutzend Platten-, Schuh- und Jeansläden weiter. Unser inneres Kreditkartenkonto ist bereits um einige Seiten gewachsen, stolz wie zwei erfolgreiche Großwildjäger schleppen wir unsere Trophäen in Plastiktüten (Springseile, Bücher, Zahnseide) mit uns. Im Greenwich Village angekommen, fragen wir eine sehr mondäne Japanerin mit Sonnenbrille nach der Zeit. Schade, daß unsere erste und einzige Begegnung mit Yoko Ono von uns erst hinterher bemerkt wird. Die Heinz läßt sich durch so was nicht unterkriegen: „Gott sei Dank ist die Stadt voll von Stars. Morgen fragen wir Cher nach der nächsten Frittenbude.“

Das Wetter zeigt sich gnädig. Es ist warm. Man kann draußen Kaffee trinken. Und rauchen. Das darf man sogar im „Stonewall Inn“. „Wir sind im Allerheiligsten“, flüstere ich. Doch wo früher Tunten rebellierten, drängen sich jetzt Bierbäuche und Föneisen um einen Billardtisch. Bei uns hieße eine solche gastronomische Einrichtung „Bei Erika“ oder „Zum Schlußlicht“. Taschenbepackt (Schuhe, Fahrradtaschen, Shampoos, aromatisierter Kaffee) schlurfen wir nach Hause, nicht ohne vorher in einem Deli noch einen Becher Kaffee zu kaufen: „Das mit dem Ladenschlußgesetz ist hier besser geregelt, echt.“ Morgen ist die Brücke dran, vielleicht auch irgendein Museum.

Die Füße tun weh. Wir beschließen, in der neighborhood zu bleiben. Von morgens bis abends. „The Bar“ ist ein Homoschuppen, heißt es. Ein erfrischend normales Wirtshaus ohne Plüschatmosphäre. „Die Besitzer scheinen gewechselt zu haben“, unkt die Hochstaplerin Heinz, Ortskenntnisse vortäuschend, „ist wohl jetzt hetero.“ Weit gefehlt. Drinnen stehen Herren beieinander und spielen Billard. Wenige Frauen. Lesben. Die toughesten von allen, sie trinken ihr Bier auf ex. Gay New York. Eine Kneipe von nebenan.

Fassungslos stellen wir fest, daß die Mädels und Buben offenbar kein gebrochenes Verhältnis zu Hardrock haben: Einer erzählt, daß er Bruce Springsteen toll findet. Die Heinz verdreht die Augen: „Pervers!“ Einer stellt sich vor: „Ich komme aus Michigan und bin im Showbusiness. My name is Dave.“ Herr Heinz hat mal wieder nicht genau zugehört: Dave hält sie glatt für die Wiederauferstehung von Liberace, weil sie Showbusiness verstanden hat. Immerhin klärt sich alles dann doch noch auf, und wir erfahren, daß Europäer gerne Timberlands kaufen. Betreten gucken wir unter die Barhocker – und sind ertappt. Morgen muß ein Museum mit unserem Besuch rechnen, egal welches. Und die blöde Brücke auch. „Ein Tag ohne Einkaufstüten, das wird doch wohl möglich sein“, nimmt sich die Heinz für uns vor.

Am nächsten Morgen ist es diesig. Und eigentlich auch kühl. Nichts für Brücken. Wir legen nur einen kleinen Umweg ein auf dem Weg ins Museum. „Bloomingdale's ist doch im Grunde ein Museum der amerikanischen Alltagswelt“, lotse ich Herrn Heinz kurzerhand um. Kein Protest. In der Unterwäscheabteilung bugsiert sich eine deutsche Familie durch die Ständer. Die Frau sagt: „Calvin Klein ist ja Dutzendware hier. Alles C&A.“ Söhnchen hat Mut zum Billigen und besteht trotzdem darauf, den begehrten Stoff kaufen zu dürfen: „Aber in Deutschland weiß das doch keiner.“

Einem redseligen Verkäufer, der uns erzählt, daß er kommenden Monat auf der Straße stehen wird, um dann wieder darauf zu warten, eine Rolle zu bekommen („Eigentlich bin ich Schauspieler“), teilen wir unsere ersten New- York-Erfahrungen mit. Während wir wie zwei Kühe in die schönen braunen Augen des Mannes glotzen, radebrecht Herr Heinz von der Kunst des Einkaufens. „You have mastered it“, gratuliert der Schönling ihm frech entgegen. Der nächste Kunde bitte! Und die Heinz ist glücklich: „Das reicht doch für heute an Aufregung.“ In den Tüten: spottbillige Kaschmirpullover und Nusch (norddeutsch für Plunder).

Man kommt hier wirklich schnell ins Gespräch. Amerikaner sind von einer berückenden Oberflächlichkeit, die gar nicht erst so tut, als sei man auf Tiefsinn versessen. Erholsam. Vor einem Zeitungskiosk stellt uns ein älterer Mann. Ob wir Julie Andrews' Comeback auf dem Broadway schon gesehen hätten, fragt er uns einen Tag nach der Premiere von „Victor/Victoria“. Endlich Zeit, mal gründlich aufzutrumpfen. „Yes, we have seen her“, gibt die Heinz an. Gütigen Blickes („I never go to previews“) läßt er uns wissen, allerfreundlichst hinzufügend, daß in die Vorpremieren „nur Touristen mit ihren verschwitzten T-Shirts und Turnhosen“ gingen. Das sitzt. So wird man am Ende auch noch moralisch für minderwertig erklärt, weil man die Nachbarschaft verlassen hat auf der Suche nach einem Event, besser: kulturellen Hochgenuß. Im Hotel werden die Turnhosen und T-Shirts mit ganz anderem Blick angeschaut – und ausgemustert für den Rest der Tage im „Big Apple“.

Neighborhood, kurzer Fußweg zur 8. Straße. „Russian and Turkish Bath“, heißt es im Reiseführer. Donnerstags ist Männertag. „Das wollen wir uns doch mal ansehen“, rufe ich unternehmungslustig. Was sich uns dann bietet, muß man sich als Appetitanreger auf Sodom und Gomorrha vorstellen. Dampfende Baderäume, Männer, die andere massieren mit saftigen Eichenlaubsträuchern. Sex gibt es nicht, dafür Blicke, lüstern und verstohlen wie in einem Film über das soziale Leben hinter Internatsmauern. Hier und da Handgreiflichkeiten. Auf der Terrasse im zweiten Stock steht ein Schwarzer und singt einem Rabbi ein jüdisches Hochzeitslied vor. Ein Mann, der sich als Mann mit Vorfahren in Sizilien vorstellt, stimmt mit ein. Die Heinz sagt: „Das glaubt uns wieder keiner.“ Abends in „The Bar“. Der letzte Abend. John, der Barkeeper, ein Mann wie ein Schrank, erzählt, daß er heute Liza Minnelli gesehen hat. Man muß es ihm glauben, er erzählt es so glaubwürdig. Inzwischen spielen auch wir Billard. Und hören Rockmusik. Die Heinz drückt in der Musicbox „Born in the U.S.A.“. Der Mann aus der Schuhbranche ist auch wieder zugegen. Wir beichten, die Brücke wieder nicht geschafft zu haben. „No problem“, meint er, „kauft euch ein Video.“ Welches, hat er leider nicht gesagt.

Am Flughafen. Zwei neue Koffer sind angefüllt mit den Schätzen. Bloß keinen Kauf bereuen. Es hätte einen sofortigen Nervenzusammenbruch zur Folge. Wir entscheiden uns, wiederzukommen. Und wenn es nur der Brooklyn Bridge wegen ist. Und ein Museumstag wird auch noch eingelegt, ganz bestimmt.