Zwischen den Rillen
: Familien-Bande

■ Kontrovers, delinquent, erfolgreich: US-HipHop für Millionen mit 2Pac

Tupac Shakur ist ein offener, ehrlicher, junger Mann. Er sagt, was er denkt, liebt seine Mama („sie hat den Himmel in mein Herz gebracht“) und sehnt sich nach einer großen Familie, auf die Verlaß ist.

Die, erzählt er in der jüngsten Ausgabe des US-Musikmagazins Vibe, hat er endlich gefunden. Im vergangenen Oktober, als ihn Marion „Suge“ Knight jr., Ex-Footballer und derzeitiger Geschäftsführer des florierenden HipHop-Labels „Death Row“, für knapp eineinhalb Millionen Dollar Kaution aus dem Gefängnis freikaufte. Während 2pac dort seit Dezember 1994 wegen der Vergewaltigung eines weiblichen Fans in Haft saß, war seine letztjährige Single „Dear Mama“ von null auf eins in die US-Popcharts eingestiegen. Kurz darauf nahm Knight ihn unter Vertrag. Er hatte genug Familiensinn, um zu wissen, daß 2pac – kontrovers, deliquent, erfolgreich – sich bestens in die Schar der „Death Row“-Kinder einfügen würde. Und am Geld sollte es nicht fehlen.

Seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 1992 warf „Death Row“ bislang 100 Millionen Dollar Gewinn ab. Die vier Alben, die dort in dieser Zeit erschienen – „Dr. Dre“, „Snoop Doggy Dogg“, „Tha Dogg Pound“ und die Filmmusik zu „Murder Was The Case“–, verkauften sich insgesamt 15 Millionen Mal. Der 30jährige Firmenpatriarch, von diesem Erfolg zu allerlei prophetischen Gedanken angestiftet, bezeichnet sein Label inzwischen gerne als das „Motown der Neunziger“.

Ein alter Mythos im Remix: Da kommt einer mit seinen gesamten Ersparnissen, trifft zufällig die richtigen Menschen. Man versteht sich auf Anhieb prächtig, und als es dann ernst wird, ziehen alle an einem Strang. „It's a family thing“, sagt Knight. Und 2pac: „Es ist mehr als eine Familie. Death Row ist ein Apparat. Es ist die größte und stärkste Supermacht in der Welt des HipHop. Und ich bin dabei.“

Als Adoptivsohn. Als Superstar. Und natürlich auch als Outlaw-Modell für die in den USA nach wie vor geführte Debatte um die Zensur von Rap- Lyrics. Nach einer Serie von Prügeleien und Schießereien, in die 2Pac angeblich verwickelt war, nach seinem Vergewaltigungsprozeß und einem kurz darauf folgenden Mordanschlag auf ihn, avancierte der Sohn einer ehemaligen Black-Panther- Aktivistin in den US-Medien so inzwischen zur meist beachteten Figur des HipHop.

Mit seinem gerade fertiggestellten 130minütigen Mammutwerk „All Eyes On Me“ spiegelt 2pac die dort angehäuften Bilder nun unter erheblichem verschwörungstheoretischen Aufwand in sein eigenes Universum zurück. Seine Selbstwahrnehmung inmitten einer undurchschaubaren Welt voller Feinde und Fallen mündet hier in geradezu klassischer Weise in die Erzählung vom zerrissenen Künstlersubjekt. „There's two niggas inside me“, sagt er. Der eine wolle den Frieden. Der andere aber müsse ohne Rücksicht ums Überleben kämpfen.

Hier werden die Aporien des „Thug Life“, der prügelnd inszenierten Männlichkeit, auf das Konto der Lebensbedingungen umgeschuldet, die Trennschärfe zwischen Fiktion und Wirklichkeit in unzähligen kleinen Paranoien wieder aufgehoben, und die endgültige Entscheidung darüber, was denn nun gut und richtig gewesen sei, bis zum Termin an der goldenen Pforte aufgeschoben: „Only God Can Judge Me/Nobody else.“ Dieser Wahn, so nachvollziehbar seine Entwicklung ist, kennt nur zwei große Zusammenhänge: Konspiration und Religion.

Um 2pacs umfangreichem Bildungsroman eine angemessene Dramaturgie zu verpassen, wurden bei „Death Row“ gleich zehn Produzenten zusammengetrommelt. Unter ihnen „Suge“ Knight himself, Bay Areas DJ Pooh sowie „Death Row“-Miteigner Dr. Dre, der seit der Gründung des Labels maßgeblich für den hauseigenen Sound verantwortlich zeichnet. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist wasserdicht. Auf dicker 70s-Soul-Ware breiten die Produzenten ihre jeweiligen Vorlieben aus. Zwischen ruhig gestelltem P-Funk-Wahnsinn, leise vor sich hinswingenden R'n'B- Nummern und einem zurückgenommenen Computer-Funk im „Zapp“-Stil zielen dabei alle Bemühungen in erster Linie auf die Einhaltung der gängigen G- Funk-Standards. Das ist angenehm, funky, aber alles andere als aufregend. Einen Blick über die fest abgesteckten Sound- und Sujet-Grenzen des Westcoast-HipHop hinaus gibt 2pacs Album ebensowenig frei, wie seine reutrotzmütige Selbstschau es tut.

Bei „Death Row“ bleibt vorerst alles beim alten. Der neue „Sound Of Young America“, den „Suge“ Knight den Superstars seines 90er-Jahre-„Motown“ zurechtschneidern läßt, steht mit den Füßen in Zement. Bewegungsunfähig standhaft – eine Familie, auf die Verlaß ist. Dietrich Roeschmann

„Only God can judge me“: 2Pac Foto: Death Row Records