Massenproteste gegen den Sparkurs

■ Zehntausende Menschen demonstrierten gegen den Sparkurs der Großen Koalition. Heute Abstimmung über Haushalt

Die Sparvorgaben des Senats provozierten gestern einen regelrechten Demonstrationsmarathon in Mitte. Mehrere zehntausend Menschen protestierten gegen den Sparkurs, der heute mit dem Nachtragshaushalt offiziell beschlossen werden soll und für dieses Jahr Einsparungen von 5,3 Milliarden Mark vorsieht. Parallel dazu soll auch das Haushaltsstrukturgesetz verabschiedet werden.

Zur größten Veranstaltung unter dem Motto „Den Haushalt kippen“ zogen am späten Nachmittag über 10.000 Teilnehmer zum Rosa- Luxemburg-Platz. Aufgerufen hatte das „Bündnis gegen Sozialabbau“, dem sich mittlerweile über hundert Initiativen und Organisationen angeschlossen haben. Auf der Kundgebung wurde die Sparpolitik der Großen Koalition von zwei Vertretern des Bündnisses als „Fortsetzung der Umverteilung von unten nach oben“ kritisiert. Statt der Debatte um den Standort Deutschland und eines Bündnisses für Arbeit wurde ein „Bündnis von unten“ gefordert, zu dem sich ähnlich wie in Frankreich von der Sparpolitik Betroffene zusammenschließen sollten. Den Anfang der Proteste hatten am Vormittag rund 10.000 SchülerInnen vor dem Roten Rathaus gemacht, die gegen die geplanten Kürzungen im Bildungsbereich protestierten. In zwei Zügen waren sie zuvor aus Ost und West zum Neptunbrunnen marschiert. Bildung, so ein Redner, dürfe nicht zu einem Privileg für eine kleine Elite werden.

Nach den Plänen des Senats sollen 3.500 Lehrerstellen abgebaut werden. Allein in diesem Jahr müssen nach Angaben der Schulverwaltung 57,7 Millionen Mark bei Schule und Sport gekürzt werden. „Oft sind die Bücher schon älter als wir“, beschrieb Mitorganisatorin Sophie Gerlach die ohnehin schwierige Situation an den Schulen.

Die Polizei war mit rund 150 Beamten im Einsatz, die den Sitz des Regierenden zuvor weiträumig abgesperrt hatten. Fünf Demonstranten wurden festgenommen, weil sie Steine oder Messer mitgeführt oder sich vermummt hatten. Die Demo verlief friedlich. Einige Schüler hatten auf dem Alexanderplatz den Infobus erspäht, vor dem der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) für die Länderfusion warb. Seine Versuche, die Schüler von der Notwendigkeit seines Kurses zu überzeugen, ging in den Rufen „Heuchler, Heuchler!“ unter.

Einige Stunden später protestierten am Nachmittag Kinder und Jugendinitiativen vor dem Roten Rathaus gegen die Streichungen in ihrem Bereich. Mit „Wir schlagen Krach“ hatten die Organisatoren von der „IG Pumpe“ zu einer Megaparty gerufen – und rund 2.000 Eltern, Erzieher und Kinder kamen. Beim „Juxzirkus“ in Schöneberg, wo Kinder bei Profis kleine Kunststücke lernen, muß die Hälfte der zehn Mitarbeiter gehen. Das Kinderprojekt „Grüne Insel“ aus Hellersdorf demonstrierte drastisch, was es vom Sparen hält: Es lud zwei Säcke Mist vor dem Rathaus ab. Uwe Rada, Torsten Teichmann