"In Polen ist Denken Stammestrommeln"

■ Manuela Gretkowska gehört zur jungen Generation der polnischen Literatur. Sie hat die Öffentlichkeit mit sexuell expliziten Texten provoziert. Ein Gespräch über den Bruch mit der Solidarnosc-Generatio

taz: Frau Gretkowska, Ihre Generation läßt sich im Leben und in der Literatur – im Gegensatz zur älteren Solidarność-Generation – nicht nur von der Politik bestimmen.

Gretkowska: Als ich in Krakau von 1983 bis 1989 studierte, war die Philosophie dort ein Gebiet völliger Freiheit. Wir mußten keinen Marxismus lernen oder Mitglied der sozialistischen Jugendorganisation. Das war für polnische Verhältnisse eine Ausnahme – aber so war es eben in der Krakauer Jagiellonen-Universität. Wir haben dort die literarische Untergrundzeitung brulion gegründet. Das war einerseits eine politische Zeitschrift, da sie gegen das Bestehende war – denn das war ekelhaft. Aber sie war auch unpolitisch, insofern als sie individualistischen Stimmen Platz gab. Da gab es Liebesgedichte, und meine ersten Texte in brulion enthielten, wie meine heutigen, viel über persönliche Probleme. Unser Leben beschränkte sich eben nicht auf die Politik. Selbstverständlich lasen wir Flugblätter und nahmen an Demonstrationen teil. Wir hatten auch illegale Organisationen und viele meiner Kollegen aus dem Studienjahrgang waren im Gefängnis.

Ich persönlich war nie Mitglied in irgendeiner Organisation. Aus meinem Jahrgang war niemand Mitglied im NZS, dem Studentenverband der Solidarność. Wir hielten ihn schon für zu offiziell, schon für halblegal. Studenten meiner Generation gehörten der pazifistischen Organisation „Freiheit und Frieden“, WiP, und kleinen, illegalen Organisationen an.

Waren es politische Differenzen, die Euch von der Solidarność- Generation trennten? Oder waren die Leute vom NZS einfach zu alt?

Ja, zu alt. Sie waren weniger radikal als wir. Unsere Zeit war gewaltsamer, illegaler. Wir wollten keinerlei Legalität, denn die Kommunisten hielten wir für Banditen. Allerdings machten wir uns nicht bewußt, daß die Mehrheit der Gesellschaft prokommunistisch war. Daß das so war und ist, sieht man jetzt. Ich erkannte das erst im fünften Studienjahr. Damals organisierte ich einen Streik mit. Ein Teil der Studenten war zu allem entschlossen, ein anderer Teil stand einfach gleichgültig daneben und noch andere dachten nur daran, wie sie unbehelligt das Studium beenden könnten. Das stieß uns von der Politik ab. Für wen lohnte es sich noch zu kämpfen? Für diese Leute, die prokommunistisch sind? Die wollen, daß es so bleibt, wie es ist, denn das gibt Sicherheit. Das war sinnlos.

Das heißt, Sie fühlten sich auch abgestoßen von dieser Gesellschaft, deren Widerstand gegen den Kommunismus uns im Westen bewundernswert erschien?

Die Bevölkerung ist erniedrigt vom Kommunismus. Elf Millionen waren bei Solidarność, aber im besten Fall war eine halbe Million gegen den Kommunismus – die Elite nicht mehr. Nach dem Streik erkannte ich, nur ich und meine Freunde lehnen uns so aus politischen, moralischen und ästhetischen Gründen gegen den Kommunismus auf.

Legen Sie es darauf an, moralische Konventionen in Polen zu verletzen, wenn Sie über Erotik und Sexualität schreiben?

Ich denke nicht an Polen, wenn ich schreibe. Ich bin mir mein eigener Maßstab. Was gut ist oder schlecht, was mich befriedigt und was nicht, entscheide ich nach diesem inneren Maßstab, nach meinem ästhetischen Instinkt. Mein Geschmack und nichts anderes entscheidet.

Ihre Literatur gilt der polnischen Kritik als postmodern und feministisch.

Das ist ein völliges Mißverständnis. Ich bin weder postmodern noch eine Feministin. Bei meinem ersten Buch glaubte man, Gretkowska sei ein Pseudonym und dahinter verberge sich ein Mann, denn einer Frau sei ein so gutes Buch angeblich nicht zuzutrauen – das eben ist Polen. Als ich also zurückkam aus Frankreich und war eine Frau, da mußte ich eine Feministin sein. Aber meine Bücher sind eine Erweiterung des Bewußtseins und keine Verengung zu Feminismus, Postmodernismus etc.

Fühlen Sie sich einsam in Polen?

Polen ist wie ein Stammesstaat. Die Elite ist sehr klein, jeder kennt jeden. Wenn jemand einen anderen verletzt, wird er aus dem Stamm ausgeschlossen. In Frankreich gibt es verschiedene Milieus, viele Individualitäten. Hier in Polen aber sind es nur einige Persönlichkeiten, die eine bestimmte Denkart um sich versammeln. Hier gibt es nur die Ethnie, den Stamm und obendrauf die Fahne. Das resultiert aus der Armut eines Denkens aus der Selbstverteidigung – denn die Polen waren in der Geschichte immer bedroht.

Ich werde von Studenten und Oberschülern gelesen, sie finden bei mir ihre Welt. Czeslaw Milosz und Zygmunt Bauman, zwei Vertreter der älteren Generation, haben meine Bücher gelobt. Für andere betreibe ich Pornographie, Kitsch, Schund.

Ich bin Katholikin – aber bei den meisten polnischen Predigten muß man die Kirche verlassen, um nicht den ganzen Haß zu hören. Dort gibt es überhaupt keine Liebe, die Menschen sind wegen der Erbsünde immer schon verdammt. Keine Freude – nichts. Das polnische Fernsehen übertrug vor kurzem eine Rede des französischen Kardinals Lustiger. Würde er mit so einer Predigt in einer polnischen Kirche auftreten, würde er exkommuniziert. Es ist nicht leicht, in Polen Katholikin zu sein. Der Katholizismus ist hier ethnisch beschränkt. Das ist Folklore. Man darf Folklore nicht mit Religion verwechseln.

Sie kämpfen nicht gegen das, was Ihre moralischen und ästhetischen Maßstäbe verletzt? Sind Sie so souverän?

Ich kämpfe nicht. Schade um die Energie. Die ganze Kraft, die ich habe, brauche ich für meine Bücher, Drehbücher und meine eigene Entwicklung. Ich antworte nicht auf Kritiken.

Woher diese Unabhängigkeit?

Das ist keine Unabhängigkeit. Das ist eine Notwendigkeit, um Zeit zu gewinnen, um sich zu sammeln. In Polen will jeder schlauer als alle anderen sein. Jeder weiß es angeblich besser. Davon muß man sich distanzieren, um sich zu konzentrieren.

Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber wenn jemandem kein zeitgenössisches Thema einfällt, greift er auf traumatische Momente in der Geschichte seines Volkes zurück: in Amerika macht er einen Film über Vietnam – in Polen über Juden. Mit einem Film über das Ghetto sagt ein polnischer Regisseur zweifellos etwas Wichtiges und allgemein Geschätztes, so daß er selbst, wenn das ein schlechter Film ist, die Genugtuung hat, einen korrekten Film gedreht zu haben. Das ist wie ein Schutzschild. Der Holocaust ist sicher ein unerschöpfliches Thema, aber ich glaube nicht, daß der Holocaust viele Menschen, außer die Opfer und moralisch sehr sensible Menschen, berührt. Aber wenn jemand einen zeitgenössischen Film über Extreme wie Liebe und Haß macht, dann ist das ein Skandal. Denn in Polen ist das Denken ein Skandal, wenn es vom Stammestrommeln abweicht.

Einmal alle zwei Wochen fahre ich aus persönlichen und beruflichen Gründen raus aus Polen. Das gibt mir eine Atempause, das freut mich, daß Europa so wurde: Es gibt keine Grenzen, es reicht, einen Paß und Geld zu haben. Interview: Helga Hirsch