■ Wenn Journalisten Straßenfeste feiern
: Die Pfalz-Grona-Breite-Party

Seit achteinhalb Jahren hatte der Kulturjournalist Carsten Niebuhr nun schon in der Pfalz-Grona-Breite gewohnt, Göttingens zähester und längster Straße, wo Pantoffelhelden, Schufte und verkrachte Existenzen siedelten, und obwohl er sich als Autor der Woche und der Zeitschrift TV Movie bundesweit einen Namen gemacht hatte, kannte er seine Nachbarn nur flüchtig. Einer irrte sich gelegentlich nachts in der Tür, und ein anderer besaß ein Aquarium, das einmal bis ins Treppenhaus ausgelaufen war.

Mehr wußte Carsten Niebuhr nicht.

Aber jetzt wollte er es wissen. Er beraumte ein Straßenfest an, die ganz große Pfalz-Grona-Breite-Party. Er kaufte einen Grill, eine Kiste Fanta, ein Sixpack Hansa-Pils und sechs feine Bratwürste ein. Er beschaffte sich einen Langnese-Sonnenschirm und einen Kassettenrecorder. Er stellte auch Flyer her: „Come together in der Pfalz-Grona-Breite am Ostersonntag! Nachbarschaft und Dancing!“

Er lief sogar persönlich von Tür zu Tür und riß die Anlieger aus dem Mittagsschlaf: „Guten Tag! Mein Name ist Carsten Niebuhr, ich schreibe für die Woche und wohne in der Pfalz-Grona-Breite, und am Ostersonntag findet unter der Wäschespinne auf der Wiese vor meiner Adresse die große Pfalz-Grona-Breite-Party statt. Wenn Sie möchten, können Sie auch selbst etwas zum Kulturprogramm beitragen. Es ist alles willkommen: Jonglieren, Schattentheater, Pantomimen, Karaoke, Stricken und Turnen! Ich selbst werde in einem Schreibzelt eine Schreibwerkstatt leiten. Die Ergebnisse werden noch am gleichen Abend über ein Megaphon in der Pfalz-Grona-Breite vorgetragen!“

Was wollen wir trinken, sieben Tage lang?

Die wenigen Leute, die ihre Tür überhaupt geöffnet hatten, knallten sie sofort wieder zu. Doch Carsten Niebuhr ließ nicht locker. Er besprühte das Schaufenster der Metzgerei Ruwisch in der Pfalz- Grona-Breite mit der Aufschrift: „Bürger, laßt das Glotzen sein, kommt am Ostersonntag unter die Wäschespinne in der Pfalz- Grona-Breite und reiht euch ein!“

Und er versuchte, dem Nachbarschaftskulturdezernenten der Stadt einen größeren Beitrag zur Unterstützung der Straßenfest-Initiative aus den Rippen zu leiern, biß aber auf Granit:

Bei den Stadtsäckelzuhältern rangierte die Förderung der Nachbarschaftskultur in der Pfalz-Grona-Breite unter „ferner liefen“, seit dem Bürgermeister in der Metzgerei Ruwisch einmal zuwenig Wechselgeld herausgegeben worden war. „Tut mir leid, Herr Niebuhr“, ölte der Dezernent, „aber der gesamte Etat ist schon für die Adolf- Hitler-Straße verplant! Und da vorn hat der Zimmermann das Loch gelassen! Tschüsikowski, Arschgesicht!“

Unverzagt stellte Carsten Niebuhr am Ostersonntag 1996 dennoch seinen Langnese-Schirm unter der Wäschespinne auf, goß Benzin in den Grill, steckte die Würste in Brand und knipste den Kassettenrecorder an. „Was wollen wir trinken, sieben Tage lang, was wollen wir trinken, so ein Durst“, schepperte es aus dem Recorder, aber niemand kam.

Eine halbe Stunde später schälte sich der Hausmeister aus dem Gebäude, ein vierschrötiger Mistkerl, der die Rauchentwicklung beanstandete und an Spucke nicht sparte. „Dann wollen wir schaffen, sieben Tage lang“, röchelte der Recorder. Im Faustkampf mit dem Hausmeister obsiegte Carsten Niebuhr. Die Party konnte weitergehen.

Doch erst um Mitternacht gesellten sich die ersten und bereits auch letzten Gäste hinzu. Es handelte sich um ein älteres Ehepaar, das sich verlaufen hatte. Die Würste waren inzwischen verputzt. Carsten Niebuhr nötigte den beiden Nachteulen jeweils eine Fanta auf; das Bier hatte er schon weggeschlickert. „Dann wollen wir feiern, sieben Tage lang!“ brüllte der Gastgeber und knallte mit dem Hinterkopf gegen die Wäschespinnenstange, aber das war ihm egal. „Hiermit“, schrie er, „rufe ich zum Sturm auf die Bastille der Metzgerei Ruwisch auf!“

Mit dem eigenen Schädel hämmerte er das Schaufenster der Metzgerei in Stücke, und während er sich noch schnaufend durch die Würste wühlte, suchte das verstörte Ehepaar das Weite.

Tags darauf zeugten nur noch der verschmorte Langneseschirm und ein Fettfleck in der Metzgerei von jenem Höhepunkt der Nachbarschaftskultur, den Carsten Niebuhr angestrebt und letzten Endes nur knapp verfehlt hatte. Und es ist die kritische Frage an die Stadt Göttingen zu richten, ob nicht möglicherweise wenigstens doch ein paar Mark für die Pfalz-Grona- Breite-Party abzuzweigen gewesen wären.

Der Sachschaden wird noch geprüft. Gerhard Henschel