Spaniens Linke muß sich neu zurechtfinden

■ Die Flügel der „Vereinigten Linken“ streiten ums Verhältnis zur PSOE

Madrid (taz) – Überholmanöver sind gefährlich. Wer sich dabei verschätzt, rennt sich leicht den Kopf an. Das hat sich jetzt auch bei Spaniens „Vereinigter Linken“ (IU) herumgesprochen. „Sorpasso“ – Überholen, hieß das Zauberwort, mit dem IU-Chefkoordinator Julio Anguita der sozialistischen PSOE von Felipe González bei den Wahlen vom vergangenen März den Platz als wichtigste Kraft der spanischen Linken streitig machen wollte. Das Überholmanöver endete mit einem dumpfen Aufprall. IU konnte sich die Krise der Sozialisten nicht zunutze machen und schnitt nur geringfügig besser ab als bei den Wahlen von 1993. Bei den gleichzeitig stattgefundenen Regionalwahlen in Andalusien sah es noch schlimmer aus. Jeder vierte IU-Wähler im rotem Süden kehrte dem Bündnis den Rücken und lief zur PSOE über.

Immer lauter melden sich die übel durchgeschüttelten Mitfahrer auf dem Rücksitz zu Wort. Unter ihnen die abtrünnigen Erneuerer der spanischen KP um Rechtsanwalt Diego Lopez Garrido, denen Anguitas Fahrkünste schon länger auf den Magen schlugen. Sie fordern einen neuen Chauffeur oder zumindest einen anderen Fahrstil. Die politische Linie von Julio Anguita, neben IU-Chefkoordinator auch KP-Generalsekretär, sei nicht mehr länger haltbar.

Damit ihre Kritik nicht, wie so oft zuvor, überhört wird, gründen die Erneuerer eine eigene Partei, die „Neue Linke“ (NI). Neben der KP und drei kleineren Formationen soll sie als fünftes Mitglied im Wahlbündnis wirken. Das Ziel: eine gemeinsame Oppositionspolitik von IU und PSOE gegen den konservativen Wahlgewinner José Maria Aznar und dessen Partido Popular (PP).

IU-Chef Julio Anguita will von dem vorgeschlagenen „breiten Dialog mit allen linken Kräften und den Gewerkschaften“ nichts wissen, denn von einem schlechten Abschneiden könne, zumindest in Madrid, keine Rede sein, sondern vielmehr „von einem zaghaften Zugewinn“. Und dafür hat er eine Erklärung parat. „Es gibt nur zwei Ufer an einem Fluß, das linke und das rechte“, erklärt Anguita, am einen befände sich die IU auf verlorenem Posten, am anderen die beiden rechten Parteien, „die konservative PP und die PSOE von Felipe González“, und „die PSOE hat die linken Stimmen entführt“.

In den letzten Jahren richtete Anguita die Politik von IU ganz gegen die PSOE – unter dem Vorwurf: „Linke Basis, rechte Regierungspolitik“. Es schien zu funktionieren. Die Wahlergebnisse von IU wurden immer besser, seit sie 1984 zum ersten Mal antrat. Der größte Erfolg: die Regional- und Kommunalwahlen vor einem Jahr, 12 Prozent im Landesschnitt. In vielen Gemeinden und in zwei Regionen, Asturien und Andalusien, fiel IU die Rolle als Zünglein an der Waage für eine PSOE- Mehrheit zu. Die Erneuerer forderten Verhandlungen, Anguita und mit ihm der harte Kern der KP setzten sich mit ihrer Radikalopposition durch. Städte wie Malaga und Cadiz gingen so an die rechte PP. Das gleiche Bild in Asturien, der traditionell linken Bergarbeiterregion, wo die Rechte noch nie regiert hatte.

In Andalusien betrieb IU zusammen mit der PP eine gemeinsame Oppositionspolitik. Der PSOE-Minderheitsregierung blieb nur der vorzeitige Weg an die Urnen. Dort kann die PSOE jetzt dank des starken Stimmenverlustes von IU alleine regieren. „Die Quittung für diese Art von Oppositionspolitik“, davon sind heute nicht nur die Erneuerer überzeugt.

Dennoch schließt Julio Anguita einen Schwenk in der politischen Linie von IU aus. All diejenigen an der kommunistischen Basis, die mit der „Neuen Linken“ (NI) sympathisieren, warnt er in seiner Funktion als KP- Generalsekretär. Doppelmitgliedschaften werde er nicht zulassen. Ein Eintritt in die NI sei gleichbedeutend mit dem Ausschluß aus der KP. Lopez Garrido und seine Erneuerer hatten sich das zwar anders gedacht, gehen aber trotzdem von 10.000 Mitgliedern bis zum Ende des Jahres aus, ein Viertel dessen, was die KP heute vereint. Daß NI innerhalb von IU mit ihren Ansichten nicht allein steht, verdeutlicht die letzte Sitzung des Föderalausschusses, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen. Ein Drittel stimmte dort gegen Anguita und für eine neue Bündnispolitik.

Längst spitzt in der PSOE so mancher die Ohren. Die Zeitschrift „Thema zur Debatte“, die IU-Erneuerern und linken Sozialisten um PSOE-Vize Alfonso Guerra als gemeinsames Diskussionsforum dient, analysiert: PSOE und IU erzielten bei den Wahlen zusammen 48,1 Prozent der Stimmen. Wären sie nicht getrennt angetreten, hätte dies ganz leicht zur absoluten Mehrheit gereicht. „Um die Vorherrschaft im Lande zurückzugewinnen, sind Gespräche und Abkommen zwischen PSOE und IU notwendig. Nur so sind wir in der Lage, die gesellschaftliche Mehrheit der Linken in eine stabile parlamentarische Mehrheit zu verwandeln, die eine dauerhaft fortschrittliche Regierung sicherstellen kann“, schlußfolgert der Leitartikel der neuesten Ausgabe.

Als Beispiel dient die Zusammenarbeit der kommunistischen Gewerkschaft CCOO mit der sozialistischen UGT. Seit dem letzten CCOO-Kongreß im vergangenen Dezember, sitzt der den IU- Erneuerern nahestehende Flügel um Gewerkschaftschef Antonio Gutierrez dort fester im Sattel denn je. Seine Aktionseinheit mit der sozialistischen UGT und sein Motto „Verhandlungen statt Streiks“ verstimmten zwar die orthodoxen Kommunisten, wird aber sonst gerne gesehen. Mit seiner gemäßigten Politik erreichte Gutierrez die Aufnahme in den Europäischen Gewerkschaftsbund. Ein Erfolg für die einen, Verrat für die anderen. Die Koordinierung der europäischen Gewerkschaftsbewegung ist für sie ein Projekt der Sozialdemokratie und damit des Klassenfeindes, eine Politik, mit der sich die orthodoxen Kommunisten in den Gewerkschaften selbst ins Aus manövriert haben. Reiner Wandler