Lange wurde von Gewerkschaftern seine Linie des Kompromisses gerügt. Jetzt ist sie zu Ende: Bei Regierung und Arbeitgebern sei kein Wille zum Konsens vorhanden, sagte DGB-Chef Schulte und erklärte das Bündnis für Arbeit vorerst für zerbroch

Lange wurde von Gewerkschaftern seine Linie des Kompromisses gerügt. Jetzt ist sie zu Ende: Bei Regierung und Arbeitgebern sei kein Wille zum Konsens vorhanden, sagte DGB-Chef Schulte und erklärte das Bündnis für Arbeit vorerst für zerbrochen

Rüstige Aufräumhelfer gesucht

Dieter Schulte hätte sich bei seinem Gang ins Kanzleramt wärmer anziehen sollen. Schließlich ahnte der DGB-Chef vorgestern abend, was Bundesminister und Arbeitgeber ihm und den Bossen der Einzelgewerkschaften zumuten wollten. „Es lief nach wie vor sachlich ab“, beschrieb Schulte gestern die Atmosphäre bei der vorläufig letzten Kanzlerrunde gegen Arbeitslosigkeit: „Aber Sie konnten eine leichte Vereisung der Gläser auf dem Tisch feststellen.“

Einen spektakulären Auszug der DGB-Fürsten aus dem Kanzleramt hatte die Zumutung harter Sparschnitte zwar nicht provoziert. Aber nachdem die Arbeitnehmervertreter eine Nacht über ihre Niederlage geschlafen hatten, stand für sie fest: Das Scheitern der Kanzlerrunden bedeutet eine Wende im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Koalition und Tarifgegner sind zu Kompromissen nicht bereit, das anfangs gepriesene Konsensmodell zur Schaffung von Arbeitsplätzen ist gescheitert.

„Betroffen und zornig“ zeigte sich Schulte gestern über den Verlauf des Gesprächs. Aufgebracht hatte die ausschließlich männlichen Gewerkschaftsfürsten nicht nur der Stil der Runde, den Schulte tags darauf als „Verkündigungstermin“ beschrieb. Nicht legitimieren und schon gar nicht mittragen wollten die Gewerkschafter die Vorhaben der Koalition zur Konsolidierung der Haushalte. Nach Schultes Schilderung wurden bei dem frostigen Abend von den Ministern vier Komplexe vorgestellt.

Erstens: gesetzliche Eingriffe zur Verschlechterung der Lohnfortzahlung, die in den Augen des DGB nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen, auch wenn Eingriffe in die Tarifhoheit vermieden werden sollten.

Zweitens: Pläne zur Einschränkung des Kündigungsschutzes bei Kleinbetrieben und älteren Arbeitnehmern, die nach Meinung Schultes die Schutzrechte für Millionen von Arbeitnehmern abschaffen und einen Einstieg in das amerikanische Modell des „Hire and Fire“ bedeuten;

Drittens: Änderungen des Rentenrechts, die vor allem Frauen und Nutzer der flexiblen Altersgrenze treffen; nach Gewerkschaftsauffassung trägt die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu höherer Arbeitslosigkeit bei.

Viertens: Änderungen des Arbeitsförderungsgesetzes, die nach DGB-Meinung dazu beitragen, Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte zu bestrafen, statt die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Enttäuscht zeigte sich Schulte über das Verhalten des Bundeskanzlers, dem er persönlich eine Abkehr vom Harmonie- und Konsensprinzip anlastete: Auch dieser habe keine Sensibilität gegenüber sozialen Ungerechtigkeiten mehr durchblicken lassen. „Das läßt für mich die Schlußfolgerung zu, daß er an dieser Stelle vielleicht auch nicht mehr Herr seines Handelns ist“, sagte der DGB-Chef und schob gleich eine Begründung für die neue Hartleibigkeit der Kabinettsmitglieder nach, der sich seiner Beobachtung nach auch Arbeitsminister Blüm anschloß: Schuld an der Wende vom Konsens zum Konflikt sei eine „radikale Beeinflussung“ der Bundesregierung durch die Unternehmer. Die Kanzlerrunden, so Schulte weiter, hätten gerade lange genug gehalten, um die wichtigen Landtagswahlen vom 16. März über die Bühne gehen zu lassen. Auch das gute Abschneiden der Koalitionsparteien bei diesen Wahlen habe wohl zur starren Haltung der Regierung beigetragen.

Das Platzen der Konsensrunden setzt die Gewerkschaftschefs aber auch in den eigenen Verbänden unter Druck. Kritiker aus den eigenen Reihen hatten schon lange gewarnt, die Gewerkschaften dürften sich nicht zur Legitimation von Eingriffen in Arbeitnehmerrechte mißbrauchen lassen und sollten offensiv gegen Sozialkürzungen Front machen. Unternehmern und Regierung hielt Schulte gestern vor, sie hätten seine Kompromißbereitschaft nicht genutzt. Die Gewerkschaften hätten sich in den vergangenen Monaten „an der äußersten Linie der Konsensfähigkeit“ bewegt. Als Fehler wollte Schulte die Teilnahme an den Kanzlerrunden dennoch nicht gewertet wissen: „Ich würde es wieder tun.“ Die Gewerkschaften seien schließlich verpflichtet gewesen, jede Möglichkeit zu nutzen. Mit starken Worten und vielsagenden Andeutungen ließ der DGB-Chef allerdings durchblicken, daß die Gewerkschaften sich nun auf einen „heißen Sommer“ vorbereiten. Ziel sei die Mobilisieren für soziale Gerechtigkeit.

Mit der größten Oppositionspartei wollen die Gewerkschaften dabei eng zusammenarbeiten. Die Bonner Sozialdemokraten versicherten der organisierten Arbeitnehmerschaft gestern dann auch prompt ihren Beistand und warfen der Bundesregierung einen „primitiven Abbau des Sozialstaats“ vor. Ähnlich wertete der Wirtschafts- und Sozialethiker Friedrich Hengsbach das Sparpaket: Der Bundesregierung fehle „Sinn für soziale Symmetrie“.

Das Zerbrechen des Konsensmodells könnte allerdings auch die SPD selbst einer Zerreißprobe aussetzen. Wenn die Bonner Fraktion sich künftig in knallharter Opposition üben will, die SPD-Finanzminister in den Bundesländern aber angesichts ihrer tiefen Haushaltslöcher selbst kürzen müssen und um Einnahmen ringen, bleibt die einheitliche SPD- Linie bald auf der Strecke. Hans Monath, Bonn