Glimpflicher Ausgang trotz des Einsatzes der Polizei

■ Die Sonderkommission läßt sich feiern, Familie und Freunde des Entführten jedoch machen die Polizei für das Scheitern früherer Geldübergaben verantwortlich

Rechtzeitig zu seinem 48. Geburtstag am Samstag konnte der Leiter der 200 Mann starken Polizei-Sonderkommission 962 die Freilassung des verschleppten Hamburger Millionenerben Jan Philipp Reemtsma verkünden. Die Kidnapper hatten den Mäzen nach 33 Tagen Gefangenschaft Freitag nacht gegen 23.50 Uhr in Hamburg-Maschen freigelassen.

Tenor der eilig einberufenen Polizeipressekonferenz: Wir haben alles richtig gemacht. Doch fest steht: Zum glimpflichen Ausgang der spektakulärsten Entführung der Nachkriegsgeschichte kam es trotz, nicht wegen des Einsatzes der Polizei. Nach zwei mißlungenen Lösegeldübergaben unter Polizeiregie hatte der in einem Kellerraum gefangengehaltene Entführte selbst die Fäden in die Hand genommen und den Kontakt der Entführer zu zwei persönlichen Vertrauten, dem Hamburger Pastor Christian Arndt und dem Kieler Soziologieprofessor Lars Claußen hergestellt.

In einem Brief machte Reemtsma die Polizei für das Scheitern der ersten beiden Übergabeversuche verantwortlich und ermächtigte Arndt und Claußen, eine dritte Lösegeldübergabe ohne Einbeziehung der Sonderkommission abzuwickeln. Arndt und Claußen, mit denen die Täter am 15. April erst telefonisch, später dann brieflich Kontakt aufgenommen hatten, schalteten als Mittelsmann und Kontaktperson zu Reemtsmas Frau Ann Kathrin Scherer den ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten der Grün-Alternativen Liste, Michael Herrmann, ein. Dieser informierte Scherer an der Polizei vorbei über die neue Kontaktaufnahme.

Während die Polizei noch auf ein neues Lebenszeichen des Entführten wartete, besorgten Arndt und Claußen mit Hilfe eines Sicherheitsdienstes aus der Schweiz und den USA die geforderten 30 Millionen Mark Lösegeld, die sie bei dem Hamburger Bankier Max Warburg deponierten. Sie beschafften sich zudem über Personen, die mit der Entführung nicht in Verbindung standen, ein Fahrzeug für die Übergabe und mehrere Handys.

Ann Kathrin Scherer forderte unterdessen die Polizei auf, ihr Privathaus zu verlassen. Zwei Ermittler hatten dort Tag und Nacht mit dem biologisch präparierten Lösegeld, das sich verfärben soll, Wache gehalten. Scherer, die ebenfalls die Sonderkommission für die gescheiterten Geldübergaben verantwortlich macht, legte der Polizei eine falsche Spur: Sie ließ Arndt und Claußen aus dem Spiel und behauptete, die Entführer hätten mit Michael Herrmann Kontakt aufgenommen. Dieser würde nun die Übergabe managen. Die Folge: Obwohl Scherer die Ermittler bat, sich vollständig zurückzuziehen, wurde Mittelsmann Herrmann fortan rund um die Uhr von der Polizei observiert; er zog sich daraufhin aus dem „Geschäft“ zurück.

Wieweit die Polizei, etwa durch den eingeschalteten Sicherheitsdienst, von dem Kontakt zwischen den Entführern und Christian Arndt sowie Lars Claußen informiert war, ist unklar. Wolfgang Sielaff, Leiter des Hamburger Landeskriminalamtes, behauptet: „Wir waren nie aus dem Spiel und hatten ständige Kooperation mit den Beteiligten.“ Fest steht nur: Sollte es der Polizei tatsächlich gelungen sein, sich an die Fersen Arndts und Claußens zu heften, die das Geld am Morgen des 25. April in der Nähe von Krefeld auf einem Parkplatz zurückließen, geschah das ausdrücklich gegen den Willen der Geldboten und Reemtsmas Ehefrau.

Die Polizei, die behauptet, auch bei der dritten Geldübergabe „dabeigewesen“ zu sein, bestreitet jede Schuld an den verpatzten Geldübergaben, die am 3. April in der Nähe von Hamburg und am 13. April nahe Trier hatten stattfinden sollen. Polizeipressesprecher Werner Jantosch: „Die Täter sind nicht in der Lage gewesen, einen Plan für die Übergabe zu entwickeln, der durchführbar gewesen wäre. Sie haben Botschaften übermittelt, die nicht zu verstehen waren, Kreuzungen genannt, die es gar nicht gibt, und Orte ausgesucht, an denen das Geld nicht in Ruhe zu übergeben war.“ Jantosch weiter: „Wir haben die ganze Zeit ein absolutes Erfüllungskonzept gefahren. Die Kidnapper hätten sich das Geld auch auf dem Polizeipräsidium abholen können, ohne daß ihnen etwas passiert wäre.“

Die Täter aber, das geht aus einem Brief Reemtsmas hervor, müssen zumindest beim zweiten Übergabeversuch – bei dem die Polizei das erste Mal mit präpariertem Lösegeld zu tricksen versuchte – die Anwesenheit der Beamten am Übergabeort bemerkt haben. Sie hatten, als pinkelnde Reisende getarnt, in Abständen immer wieder den Verbleib des Geldes überprüft, das hinter einem Zaun an einem Autobahnparkplatz deponiert war. Marco Carini, Hamburg