Der Armenpriester und der Antisemit

Frankreich ist entsetzt. Der früher bedeutende Philosoph und heute notorische Querulant Roger Garaudy schlägt sich auf die Seite der Auschwitz-Leugner, und der berühmte Priester Abbé Pierre findet sein Buch schön  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Dies ist ein „schönes Buch“, gratulierte der französische Armenpriester Abbé Pierre seinem alten Freund Roger Garaudy zu dessen jüngster Veröffentlichung. Der Priester, unermüdlich bemüht um die Obdachlosen, die Immigranten und andere Ausgegrenzte und so berühmt, daß er Premierminister in die Knie zwingen kann, trat damit eine Lawine los: Sein Lob galt einem Revisionisten, in Frankreich „Negationisten“, einem intellektuellen Vertreter der „Auschwitz-Lüge“, der auf 277 Seiten Belege für seine These sucht, daß der Holocaust ein Mythos sei. Denn Garaudy bezweifelt die Existenz der Gaskammern, behauptet, daß Hitlers „Endlösungsprogramm“ nicht existiert habe und daß die Zahl von sechs Millionen jüdischer Opfer „zionistische Propaganda“ sei. Weil er „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ leugnet, läuft gegen den 83jährigen seit vergangener Woche ein Untersuchungsverfahren.

Auch Paul Garaudy ist sehr berühmt. Ein „Revisionist“ war er nicht immer. Zuvor hatte der gelernte und später sehr bedeutende Philosoph einen langen Weg durch zahlreiche Kirchen zurückgelegt. Nachdem er 1970 wegen eurokommunistischer Tendenzen aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurde – er war sogar Mitglied des Politbüros – konvertierte er erst zum Katholizismus, dann zum Protestantismus und vor ein paar Jahren zum Islam. Die Themen seiner Veröffentlichungen spiegeln die Konversionen wider. Sie reichen von Werken über die Quellen des wissenschaftlichen Sozialismus (1949), materialistische Theorie (1953), Karl Marx (1965), dem viel rezipierten Werk über Hegel (1966) und Lenin (1968), dann zu Fragen „Kann man heute Kommunist sein?“ (1968), „Brauchen wir Gott?“ (1984), bis hin zu „Größe und Dekadenz des Islam“ (1996). Das jetzt erschienene und vom Armenpriester Abbé Pierre so hoch gelobte Buch heißt: „Die Gründungsmythen der israelischen Politik“.

Als linker Intellektueller hat Garaudy in großen Verlagen wie Gallimard, Grasset, Fayard und Seuil veröffentlicht. Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen – darunter fast immer auch ins Deutsche – übersetzt. Nur für sein letztes Buch fand er keinen Verleger. Er wich zunächst auf einen französischen rechtsextremen Vertrieb aus und gab es schließlich im Selbstverlag heraus, den er in Anlehnung an die einstige sowjetische Untergrundliteratur „Samiszdat“ nannte. Den Vertrieb hat inzwischen eine rumänische Buchhandlung in Paris übernommen, die auf Esoterik und „totalen Negationismus“ spezialisiert ist.

Die Verrisse der französischen Medien ließen nicht auf sich warten und sind auf dem Buchdeckel nachzulesen. „Garaudy ist ins Lager der Antisemiten“ übergetreten, schrieb Libération. „Ein ehemaliger Roter auf der Rückseite des Spiegels: bei den Braunen“, notierte Le Monde. Ähnlich entsetzt reagierten auch die Überlebenden des Holocaust. Mehrere Vereinigungen ehemaliger Deportierter erstatteten Anzeige gegen das Buch, dessen Thesen im Widerspruch zu dem französischen Pressegesetz von 1990 stehen, wonach sich strafbar macht, wer Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestreitet.

Dennoch wäre das Buch eine Nebensache geblieben, wenn sich nicht Abbé Pierre in die Diskussion eingeschaltet hätte. Werbewirksam veröffentlichte Autor Garaudy dessen Unterstützungsschreiben. Gleichzeitig wurde bekannt, daß er sich von Jacques Vergès verteidigen lassen will – dem Anwalt des Lyoner Gestapo-Chefs Klaus Barbie und des Top-Terroristen Carlos, der stets für politische Skandale gut ist.

Seither steht in der rumänischen Buchhandlung im fünften Pariser Arrondissement das Telefon nicht mehr still. Auf dem Boden stapeln sich Bücherpakete, die für das ganze Land bestimmt sind. Garaudy habe seinen Laden ausgewählt, weil er aus dem „Land Ceausescus“ stamme und die Zensur kenne, erklärt der Buchhändler. Dabei zieht er eine Gasspraydose aus der Jackentasche und behauptet, er werde von einer „Lobby“, die er nicht näher beschreiben will, bedroht.

„Natürlich suchen wir die Wahrheit“, erklärt der alte Herr mit den Goldknöpfen am dunkelblauen Anzug, „aber das geht nicht über Leichenzählen“. Charles Palant, Überlebender von Auschwitz, hat als Präsident der „Amicale Auschwitz 3“ Anzeige gegen das Buch erstattet. Jetzt wartet er im Pariser Justizpalast auf die Eröffnung des Untersuchungsverfahrens. „Die neuen Generationen wissen nicht mehr viel über jene Zeit“, sagt er. „Vor diesem Hintergrund macht sich Garaudy daran, den Nazismus zu negieren. Das haben nicht einmal die Angeklagten in Nürnberg getan.“

Der Mittachtziger Abbé Pierre müßte es eigentlich besser wissen. Vor über einem halben Jahrhundert war er selbst Nazi-Gegner und wurde deportiert. Warum er sich trotzdem heute für Garaudys Buch stark macht, vermag er selbst seinen Freunden nicht zu erklären. Die überlegen, ob das „fremdenfeindliche Klima in Frankreich“, oder „neue antisemitische Tendenzen in der katholischen Kirche“ der Hintergrund von Abbé Pierres Parteilichkeit seien. Vor einer eilig zusammengerufenen Versammlung der Licra (Liga gegen Rassismus und Antisemitismus), deren Ehrenvorstandsmitglied der Priester (noch) ist, erklärte er letzte Woche: Er unterstütze den Mann Garaudy und nicht dessen Thesen. Anschließend wiederholte er vor seinen irritierten Zuhörern, daß die Zahlen über die Opfer der Shoa übertrieben seien und daß es möglicherweise doch weniger Gaskammern als bisher vermutet gegeben habe.

Nur eine alte Freundschaft zwischen zwei alten Männern? In den 50er Jahren arbeiteten der Katholik Abbé Pierre und der Kommunist Garaudy gemeinsam am Aufbau der Obdachlosenhilfe. Sie begründete die Popularität des Priesters. Seitdem taucht der wütende, stets schwarz gekleidete Katholik an allen sozialen Brennpunkten Frankreichs auf, sorgt für die Unterbringung von afrikanischen Immigranten, protestiert gegen die Polizeigewalt und bezichtigt die Regierung immer wieder der Lüge.

Seine Unterstützung für das revisionistische Buch bringt jetzt zahlreiche linke Organisationen in Konflikt. „Der Abbé Pierre ist ein großer Mann im Kampf gegen Ungerechtigkeit“, sagt der Vorsitzende der antirassistischen Organisation MRAP, „aber wenn er seine Position jetzt nicht ändert, müssen sich unsere Wege trennen“.

Roger Garaudy: Les Mythes fondateurs de la politique israeliénne, 277 Seiten, ed. R. Garaudy, Paris 1996