Wo war Hamburg?

■ Die Deutsche Kammerphilharmonie brillierte vor leeren Rängen

Es begann mit einer Seltenheit: Mozarts Ouvertüre zur frühen Oper Lucia Silla. Tempi, Drive und Präzision der Kapelle waren enorm. Ungewöhnlich das Weitere: Auf Richard Strauß' Capriccio op. 85 (6 Streicher) folgte Mozarts „Linzer“ Sinfonie, nach der Pause Adagio und Fuge K. 546 von Mozart, zum Schluß Strauß' Metamorphosen (32 Streicher). Ständiger Wechsel des Programms, ständiger Wechsel von Besetzungsstärke, Instrumentation und Aufbau. Beim Mozart saßen die ersten Geigen links vom Dirigenten, die zweiten rechts, zwei Celli hinter den zweiten Geigen, zwei Celli hinter den ersten, Naturtrompeten und fellbespannte Pauken. Fuge und Adagio wurden von 4 Streichergruppen a 4 Musiker über die Bühne verteilt gespielt, 2 Gruppen stehend, was den dissonanten, fahlfinster modernen Zuschnitt des Stücks betonte. So macht Klassik tatsächlich Spaß. Die Deutsche Kammerphilharmonie unter Mathias Hengelbrock bot am Dienstag in der Musikhalle eines der besten Konzerte seit langem – ein echter Glücksfall für Hamburgs Klassik-Publikum.

Nur leider, Hamburgs Klassik-Publikum war gar nicht da. Dreiviertel der Parkettplätze waren unbesetzt, gähnende Leere in den Rängen. Dabei ist die Deutsche Kammerphilharmonie nicht irgendwer. Unter einem Dach mit dem Ensemble Modern residiert die Kapelle in Frankfurt, ihre Mitglieder zählen zu den anspruchsvollsten Jungmusikern Deutschlands, Künstler, die mehr wollen, als am Monatsende ihr Geld auf dem Konto. Aber am Treppenaufgang der Musikhalle hingen nicht, wie meistens sonst, die CDs des gastierenden Orchesters. Die Kammerphilharmonie hat so recht noch keine. Offenbar wollen die Leute nur berühmte Namen, bekannt von Funk, Fernsehen und Schallplatte. War die Promotion schlecht? Oder gibt's keine Neugier unter Klassikfreunden, wollen die zum hundertsten Mal ihren Alibi-Busoni, die kleine Nachtmusik und nach einem Gläschen Sekt die Unvollendete? Einmal mehr gab Hamburg eine Null-Antwort. Oberschade.

Stefan Siegert