Gerechtigkeit trägt endlich Früchte

Peter Handke wird heute in Belgrad für seine Verdienste um die serbische Nation geehrt. Strikte Zensur hat verhindert, daß die Wahrheit über Serbien verbreitet wird, meint der Dichter  ■ Von Georg Baltissen

Längst nicht jedem Dichter werden schon zu Lebzeiten Ehrungen zuteil, die er sich redlich verdient hat. Von Peter Handke kann man das ab heute nicht mehr sagen. Handke, der sich auf einer einwöchigen Vortragstour in Belgrad aufhält, wird mit serbischen Ehrbezeugungen überhäuft. Anläßlich der Vorstellung seines neuen Gedichtbandes „Briefe zum Überdauern“ wird Handke in der Serbischen Volksbibliothek in Belgrad ein Porträt überreicht, sein eigenes, gemalt in Öl, von der bekannten Porträtmalerin Olja Ivanjicki. Und der in Paris lebende serbische Komponist Ivan Jevtić hat eigens ein Gedicht von Handke vertont. Und die große Opernsängerin Elena Vlahović wird dieses Gedicht zu Handkes Lob und Ruhm vortragen. Am Tag darauf wird Handke im größten Belgrader Theater „Drama“ eine Lesung vor und mit Publikum geben, Diskussion und Gespräch eingeschlossen.

Große Ereignisse müssen angemessen angekündigt werden. In der Tageszeitung Politika darf Zoran Konstantinović, der vermeintlich beste Kenner der deutschen Literatur, Handke als größten europäischen Erzähler der Gegenwart und Literaten von Weltruhm würdigen. Die Zeitschrift Nin rühmt sich, daß der große Dichter der Redaktion nach einem Gespräch die Rechte für sein, allen Ehrungen zugrunde liegendes Werk „Gerechtigkeit für Serbien“ vermachte, zur Veröffentlichung in serbo-(kroatischer) Sprache. Kostenlos, versteht sich.

Und damit der Welt die staatstragende Bedeutung dieses dichterischen Besuches nicht entgeht, hat das serbische Informationsministerium ein Interview mit Peter Handke wiedergegeben, das – in mehreren Folgen – zuerst in der Belgrader Tageszeitung Nasa Borba erschienen ist. Darin wird vorab dem Suhrkamp Verlag, und namentlich seinem Chef, Siegfried Unseld, seiner Sekretärin und Handkes Lektor höchstens Lob dafür zuteil, das Interview mit Peter Handke überhaupt möglich gemacht zu haben. Wie man weiß, spricht der Dichter selten zur Presse. Nicht, daß er dabei hätte bleiben sollen. Handke hat Wesentliches zu sagen. So ist zu erfahren, daß die „finsteren Kreise“ nicht nur in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu finden sind. Handke: „Ganz Deutschland ist finster. Deutschland war immer finster, bis zum Aufkommen der großen Dichter wie Goethe, der Deutschland selbst nicht leiden konnte. Goethe wußte, Deutschland ist nicht mein Land.“ Und Handkes natürlich auch nicht.

Die, so Handke, „ kollektive deutsche Verrücktheit“ wird vom Spiegel und der FAZ gemacht. Mit furchtbaren Konsequenzen: „Viele deutsche Journalisten sind aus ihrer Arbeit gedrängt worden, weil sie andere Ansichten, Meinung und Sichtweisen (über Serbien) hatten. Sie wagten nicht mehr so zu schreiben wie zuvor. Es gab eine strenge Zensur.“ Und, so Handke weiter, nur dank seines Textes sei dieser Skandal überhaupt öffentlich geworden.

Nur logisch, daß eine zensierte Presse dem Leser eine Menge vorenthält. Handke: „Mein Eindruck ist, daß es weder in Deutschland, Frankreich, Europa noch sonstwo in der Welt, einschließlich Amerika, bekannt war, daß dort Menschen leben in Serbien.“ Aber, so Handke, „das graue, kämpfende Belgrad hat immer existiert“. Der Dichter weiß, das alles liegt an der Schnellebigkeit des Journalismus, ein paar Tage hier, ein paar Tage dort. Und danach wieder Wochen fett und satt zu Hause. Nicht ein Journalist, so Handke, habe längere Zeit im Konfliktgebiet verbracht.

Es verbietet sich, hier mit gleicher Münze heimzuzahlen und zu fragen, wie lange Handke im Kosovo unterwegs war, bis er Verständnis für die Sprüche Milošević' fand: „Als die serbische Minderheit im Kosovo unter Druck geriet, sagte Milošević, daß die Serben Schläge, Erniedrigungen und Demütigungen nicht hinnehmen sollten. Ich kann das gut verstehen. Das heißt nicht, daß er Großserbien propagierte... Aber ich kann nichts über Serbiens Establishment sagen. Ich möchte nichts Negatives sagen.“

Jeder kann jetzt ruhigen Gewissens auch dem SPD-Politiker Peter Glotz Glauben schenken, der in einem Interview mit der Woche verkündete, daß Sarajevo „keine belagerte, sondern eine geteilte Stadt“ war, was der Öffentlichkeit halt nur nicht bekannt gewesen sei. Neben Handkes Interview wird auch das Glotz-Zitat vom serbischen Informationsministerium verbreitet.