Lachender Klinsmann

■ Durch ein 3:0 gegen Rußland erreichte das deutsche Team schon fast das Viertelfinale der Europameisterschaft

Manchester (taz) – Als der neue Tag kam, hatte sich der Bombennebel über Manchester verzogen. Die Sonne lachte.

Und Klinsmann lachte auch. Gerade hatten er mit dem Außenrist des rechten Fußes den Ball in erstaunlicher Eleganz zum 2:0 ins russische Tor gehoben (77.). Es war sein 37. Länderspieltor und ein fast unangemessen schöner Abschluß eines harten Arbeitstages, der die Deutschen mit 6 Punkten an der Spitze von Gruppe C sieht.

Es war nicht so, als wäre nichts gewesen. Die Sicherheitsmaßnahmen waren intensiv. Tags zuvor war das komplette Stadion abgesucht worden. Auch gestern kam keine Tasche unkontrolliert hinein. Die Stimmung war gespannt – doch, so schien es, hauptsächlich wegen der sportlichen Brisanz.

Franz Beckenbauer hatte gestern exklusiv in The Observer mitteilen lassen, die Ausgangslage sei bestens, schließlich müßten die Russen angreifen. Das russische Team griff aber nicht an. Die Deutschen taten es, und hatten bereits mit dem ersten Versuche eine veritable Chance, als Klinsmann sich links draußen eine Freistoß erarbeitete, den Helmer am Tor vorbeiköpfte. Das ließ sich gut an. Häßler gab sich zweikampfstark, nicht nur raffiniert, sondern auch geradezu energisch. Es addierten sich Chancen für Möller (3.), Bierhoff (17.) und Klinsmann (27.). Es schien als sei Radimows Pfostenschuß (7.) nur ein Einzelfall. Monologe wie sie Mostowoi gab, nicht weiter erwähnenswert.

Mitte der ersten Hälfte merkte man: Die Russen (3-6-1) lockten die Deutschen (3-5-2) in die Mitte. Reizten sie, dort mehr Manpower zu investieren. Und fingen dann an, über Andrej Kantschelskis und ihren einzigen Stürmer Kolywanow mit schnellen Schritten Raum zu gewinnen. Babbel kam mit letzterem nicht mit und sah seine zweite Gelbe Karte (19.). Köpke nahm Mostowoi den Ball möglicherweise regelwidrig ab. Ziege war für den ungewöhnlich schnellen Everton-Außen Kantschelskis zuständig. Im Training hatte er gegen Basler erfolgreich geübt. Ziege konnte „wegen dieser Sache nicht schlafen“. Helmer (ohne Gegenspieler) mußte ihm häufig helfen.

Nach der Pause aber hatte Möller eine Vision und der nach vorne geeilte Sammer den Ball. Mit rechts traf er Keeper Scharin, mit links kullerte er den Abpraller zum 1:0 ins Tor (56.). 25 für 1 zahlte Ladbrokes dem, der Sammer auf der Rechnung hatte. Es ist anzunehmen, daß Oleg Romanzew nichts gewonnen hat. Wie es aussah, war sein Team nicht für den Fall Sammer gerüstet.

Vogts sah schnell, daß sehr viel mehr nicht zu erwarten war, nahm Thomas Häßler raus und brachte Freund (67.). Es zeigte sich, daß die Russen — wie gegen Italien — ihre Kräfte bereits vor der Pause aufgewendet hatten. Die zuvor gemachten Versprechungen konnten nicht mehr eingelöst werden. Während die Deutschen als Team arbeiteten, gerieten die Russen wieder zu Einzelkämpfern. Als Kowtun Rot sah, war die Sache bereits erledigt, bevor Klinsmann sich zum ersten Stürmer aller Zeiten aufschwang, der bei drei Europameisterschaften Tore geschossen hat und dann aus Jux in der letzten Spielminute sogar noch einmal nachlegte.

Am Mittwoch geht es gegen Italien, ohne Babbel, der ist gesperrt. Die Vorgabe ist klar: Selbst bei einer Niederlage mit zwei Toren würde das deutsche Team noch im Viertelfinale stehen. Peter Unfried

Rußland: Scharin - Nikiforow - Onopko, Kowtun - Tedradse, Zimbalar - Kantschelskis, Mostowoi, Radimow (46. Karpin) - Kolywanow, Chochlow (67. Simulenkow)

Zuschauer: 50.760; Tore: 1:0 Sammer (56.), 2:0 Klinsmann (77.), 3:0 Klinsmann (90.)

Rote Karte: Kowtun (71.) wegen Foulspiels

Deutschland: Köpke - Sammer - Babbel - Reuter, Eilts, Helmer, Ziege - Häßler (67. Freund), Möller (87. Strunz) - Klinsmann, Bierhoff (85. Kuntz)