Nach jedem politischen Mord ein Schweigemarsch

■ Auf der französischen Insel Korsika wenden sich immer mehr Frauen, darunter junge Witwen nationalistischer Kämpfer, gegen das „Gesetz der Waffen“

„Hysterische Weiber“ seien das, schrieb U Ribombu – „häßliche Frauen“, die „eher Mitleid als Lust“ erregten und die ihren „Haushalt vernachlässigen“. Ziel des machistischen Ausbruchs in dem korsischen Nationalistenblatt waren die „Frauen für das Leben“, die Anfang Juni zu Tausenden gegen den Terror durch die Straßen von Ajaccio gezogen waren.

„Gegen das Gesetz der Waffen, für Gerechtigkeit und für das Leben“ stand auf dem Transparent, das die Frauen vor sich hertrugen. Dahinter demonstrierten frühere Mitglieder nationalistischer Organisationen, junge Witwen von Nationalisten, die von anderen Nationalisten ermordet wurden, und Politikerinnen und Politiker fast aller korsischer Parteien. Ohne die inselüblichen Gesichtsmasken kritisierten sie sowohl die bewaffneten Nationalisten, die ins Mafiose abgeglitten sind, als auch den Staat, der mit genau dieser nationalistischen Fraktion verhandele, die „niemanden mehr repräsentiert“.

Statt Geheimverhandlungen, Waffen und einer von Paris ans Gängelband genommenen Justiz auf Korsika wollen die Frauen offene Diskussionen und über ihre Zukunft mitentscheiden. Die meisten verstehen sich weiterhin als Nationalistinnen oder Autonomistinnen. Aber sie wollen die Gesellschaft, die sich im Innern zerreißt, nicht mehr. Von den maskierten Kämpfern verlangen sie das Ende der „Manipulationen, Einschüchterungen und Morde, die das korsische Leben bestimmen“. Es sei „unbedingt nötig, daß Korsen aufstehen und zeigen, daß sie keine Angst haben, die Gewalt und ihre Urheber zu verurteilen“, sagt eine von ihnen.

Bereits im Januar 1995 hatten einige die Vorgängerorganisation „Manifest der Frauen“ gegründet; vorangegangen waren die ersten Morde im eigenen Kreis. Seither finden sich die Manifestfrauen nach jedem politischen Mord zu einer Schweigedemonstration vor der Polizeipräfektur ein. 18 Männer, die von verfeindeten Nationalisten ermordet wurden, haben sie auf diese Weise beklagt.

Solange die Frauendemonstrationen klein blieben, schwiegen die bewaffneten Nationalisten. Doch seit sich gezeigt hat, daß die Bereitschaft zum offenen Protest zumindest ein paar tausend Menschen stark ist, schlagen die Jungs von der stärksten bewaffneten Organisation „FLNC Canal historique“ in ihrem – legalen – Blatt U Ribombu zurück. In der Ausgabe, die den „hysterischen“ Korsinnen gewidmet ist, dreschen sie auf einen Pariser Journalisten und Korsika-Experten ein. Nachdem dessen Haus vor ein paar Monaten von „Unbekannten“ beschossen worden war, erkennt U Ribombu jetzt „die internationale zionistische Lobby“ hinter seiner Arbeit. Wenn es um Korsika geht, dulden bewaffnete Korsen keine Kritik. Dorothea Hahn, Paris