Die zentrale Missionsstation für gute Comics

■ Der Berliner Laden „Grober Unfug“ ist der bestsortierte Ort für den internationalen „guten“ Comic in Deutschland und zugleich Kontaktbörse der Szene

Comics fand man bis vor einigen Jahren außer am Kiosk nur in schmierigen An- und Verkauf- Klitschen. Dort fristeten sie, zusammen mit anderen mißratenen Kindern der Medienindustrie, mit John-Sinclair-Heftchen, Arztromanen und Pornos, ein trauriges Dasein unter der Obhut finsterer Männer, denen man ungern nachts begegnet wäre. Dort einzukaufen, das war fast wie ein Besuch im Sex- Shop: Mutter hat's verboten.

Bert Henning, Schweizer, Mitgründer des Berliner Comic-Ladens „Grober Unfug“, entstammt der Generation, die mit Micky Maus, Asterix, Batman und vielen Ermahnungen, doch „richtige“ Bücher zu lesen, groß wurde. Als er dann Gilbert Sheltons „Freak Brothers“ und Robert Crumbs „Fritz the Cat“ kennenlernte, die das bisher den Zeitungs-Funnies vorbehaltene Medium zur Ausmalung bekiffter Hippiephantasien nützten, war die Richtung klar, die er, Punk, Hausbesetzer und neu in Berlin, gehen wollte. Comics „für Erwachsene“ und mit künstlerischem Anspruch waren weitgehend unbekannt. Wo hätte man sie kaufen, wo verkaufen können?

Der Grobe Unfug, den Henning mit zwei weiteren, damals glücklosen, Zeichnern 1982 gründete, sollte eine „Missionsstation“ für gute Comics sein – und den Markt für die eigenen Werke schaffen. Als Comic-Secondhandshop mit angeschlossener Plattenabteilung fingen sie an, eine Kunstgalerie wollten sie sein, wollten „beweisen, daß Comics ernst zu nehmen sind“ und sie aus dem Schund- und Trivi-Ghetto befreien. Auf diese Weise habe man „Schwellenängste abbauen“ wollen: „Man konnte erst mal ein bißchen Kunst angucken und dann doch noch ein ,Batman‘-Heft mitnehmen.“ Mit der ersten Ausstellung, Titel: „Legal, illegal, scheißegal“, knüpfte man erfolgreich an die Sponti- und Häuserkampfgeschichten von Gerhard Seyfried an.

Heute muß sich der Grobe Unfug längst keine Sorgen mehr um die Akzeptanz seiner Waren machen. Liegt es am allmählichen Lernprozeß, am kontinuierlichen Einsickern der Jugendkulturen in die übrige Welt oder daran, daß das Medium Comic verglichen mit Videos und Computerspielen heute harmlos erscheint? Die Beschlagnahmung einiger angeblich sexistischer (tatsächlich jedoch pornographiekritischer) Comics vor zwei Jahren sehen die Betreiber heute fast mit nostalgisch umflortem Blick. Der frühere Rechtfertigungsdruck jedenfalls ist heute verschwunden, die abendländische Kultur scheint vorerst außer Gefahr. Im Gegenteil: Heute führen LehrerInnen ihre Schulklassen auf der Suche nach Inspiration für den Kunstunterricht durch den Laden. Nach zwei Umzügen und mehreren Erweiterungen floriert das kleine Comic-Kaufhaus.

Je differenzierter der Publikumsgeschmack, desto breiter wird das Angebot. „Früher mußte man zu uns kommen, um sich die ,Werner‘-Comics zu kaufen. Heute liegt Werner bei WOM an der Kasse. Aber das Interesse, das sich über ,Werner‘ entwickelt, können die Leute bei WOM dann nicht befriedigen. Die Kunden kommen dann zu uns und kaufen Peter Bagge.“

Enorme Brüste und verkabelte Arme

Sorge um mangelndes Profil plagt die Leute vom Groben Unfug nicht. „Viel schlimmer ist Statik. Es muß sich immer etwas bewegen.“ Deshalb muß auch für jeden etwas im Angebot sein. Im Erdgeschoß kämpfen in opulenten postapokalyptischen Epen wie „Gorn. Das Blut des Himmels“ sehnige Fighterinnen mit enormen Brüsten und verkabelten Armen gegen Herrscher, groß wie Einfamilienhäuser. In der Galerie im ersten Stock hingegen versuchen Julie Doucets schüchtern-verträumte Frauen einstweilen, mit alltäglicherer Unbill wie Menstruationsbeschwerden und gewalttätigen Liebhabern klarzukommen. Und in der Importabteilung ist von antiken „Batman“-Ausgaben bis zu japanischen Mangacomics ziemlich alles zu finden, vor allem aber der amerikanisch-kanadische Underground mit jüngeren Protagonisten wie Doucet, Daniel Clowes, Chester Brown. Jüngstes Kind des Groben Unfugs ist der CoSmic Shop, eine Devotionalienhandlung für die „Star Trek“-Gemeinde.

Seit einiger Zeit räumen auch die klassischen Buchhandlungen für Comics Regale frei. Direkt vom Produzenten kauft man aber nur im Groben Unfug. Von den zehn Leuten, die dort arbeiten, ist noch immer gut die Hälfte nebenbei als Zeichner, Letterer oder Verleger tätig. Bis der eine wegen seiner Zweitkarriere als Entertainer und der andere wegen guter Auslastung durch den täglichen taz-Comic ausstiegen, standen auch Phil und Tom hier regelmäßig an der Kasse. Der Laden als Ersatzfamilie für Zeichner, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in schlechten Zeiten und Ideenlieferant: „Auch wenn es ,Spiderman‘ ist, den du da auspackst: Da sind irre Körperperspektiven drin, die du auch als Phil oder Tom in deine Sachen einbauen kannst, und aus denen du eine gewisse Komik beziehst.“

Freundschaftlich verbunden mit dem Groben Unfug sind etliche andere kleine Comicunternehmen. So Dirk Rehms Verlag Reprodukt/Edition Moderne, der viele Titel der kanadischen Reihe „Fantagraphics“, darunter die Werke von Clowes und den Brüdern Hernandez, in deutscher Übersetzung herausbringt. Oder der rührige Berliner Independent- Verlag Jochen Enterprises, der mit kleinen, billigen Heften Berliner Avantgardisten wie Phil, Fickelscherer, OL und Anke Feuchtenberger zu beachtlichem Ruhm verholfen hat und nebenbei AmerikanerInnen wie Jim Woodring und Lilian Gerer für den deutschsprachigen Raum entdeckte. Steht der alternative Comic-Konzern ins Haus? „Nö, überhaupt nicht.“ Die lockere Vernetzung sei ideal für alle, so lasse sich „auch von dritter Seite Spaß und Energie abtanken“. Ohnehin sei man längst etabliert genug. Auch die weißen Wände der Galerie, der wahrgewordene Traum aus den Anfangstagen, findet Bert Henning heute zu langweilig: „Von mir aus sollen die Künstler jetzt den ganzen Laden vollschmieren.“ Jörg Häntzschel

Grober Unfug. Zossener Straße 32, 10961 Berlin. Kontakt: Telefon (030) 69401490