Klaus Kinkels Tanz um viele Fettnäpfchen

■ Der Bundesaußenminister balanciert zwischen Menschenrechtsfragen und wirtschaftlichen Interessen. Jetzt stärkte ihm Kohl ausnahmsweise den Rücken

Bonn (taz) – Hintergrundgespräch auf dem Petersberg in Bonn, Anfang des Jahres: Der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Klaus Kinkel, sitzt lässig auf einem Barhocker, die Beine leicht gespreizt. Eine halbe Stunde lang berichtet er im vornehmen Ambiente des Bonner Gästehauses nüchtern, korrekt, detailliert über Zusammenhänge der Außenpolitik. Mit seiner sonoren Stimme und dem schwäbischen Dialekt reißt er zwar keinen vom Hocker, langweilt aber auch nicht. Auf einmal zuckt die Journalistenschar zusammen. „Da habe ich dem Türken gesagt ...“ Gemeint ist der türkische Außenminister. Das ist Kinkel. Er ist ein Netter, er meint's nicht böse, aber er ist halt ein bißchen ungeschickt.

In diesen Tagen, in denen die deutsche Außenpolitik von China bestimmt ist, wirkt er mehr als ungeschickt und weiß nicht einmal weswegen. Kinkel kann machen, was er will, Prügel ist ihm gewiß. Da verficht er 1992 bei seinem ersten Besuch in der Volksrepublik China eine „Politik der ausgestreckten Hand“ und bekommt Watschen von Menschenrechtsorganisationen. Im April 1996 hält er eine Rede vor der UNO-Menschenrechtskommission, in der er die Menschenrechtssituation in China kritisiert, und wird von China gescholten und all denjenigen, die eine Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem bevölkerungsstärksten Land der Erde fürchten.

Kinkel sorgt dafür, daß eine Tibet-Konferenz der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung nicht aus öffentlichen Mitteln unterstützt wird, um China nicht zu verärgern. Sofort schreien alle auf, Kinkel wolle die Menschenrechte verraten. Da trägt er eine Resolution des Deutschen Bundestags zu den Menschenrechtsverletzungen in Tibet mit, die nicht von ihm stammt, die nicht einmal mit ihm abgesprochen ist, die aber dazu führt, daß er von China ausgeladen wird. Und wer steht allein im Regen und kassiert die Prügel? Der nette Mensch aus Metzingen.

Er hätte jetzt schon gern die deutliche Reaktion des Deutschen Bundestags, sagte Kinkel gestern und mahnte damit indirekt und ein wenig unbeholfen Unterstützung für sich an. Denn schließlich, so betont Kinkel: Die Resolution stamme schließlich nicht von ihm, auch wenn er sie voll mit trage.

Ausnahmsweise stärkte ihm da mal der Kanzler den Rücken: Helmut Kohl kritisierte gestern die Ausladung Kinkels durch die chinesische Regierung. Der Kanzler habe die Entscheidung aus Peking „mit Unverständnis entgegengenommen“, erklärte sein Sprecher. Die von Kinkel vertretene Linie in der Tibet-Frage entspreche „voll und ganz“ der Politik Bonns und der Haltung des Kanzlers.

Das mag Kinkel bestärken, der sich „in Menschenrechtsfragen von niemandem übertreffen“ lassen will. Als wenn es bei Menschenrechten um Höher, Weiter, Schneller ginge. Aber in einem hat Kinkel recht. Er hat sich nie davor gescheut, die Menschenrechte anzusprechen, wie er sich selbst jetzt nicht duckt: „Ich bin für massive und deutliche Kritik an Menschenrechtsverletzungen, egal wo sie vorkommen.“

So rechten Glauben scheint er trotzdem nicht zu finden. Allgemein ist der Eindruck entstanden, daß Kinkel beim Spagat zwischen Menschenrechtsfragen und den wirtschaftlichen Interessen regelmäßig zusammenknickt. Zu viele Pannen hat sich Kinkel in den vergangenen Monaten geleistet. So etwa, als er an der Einladung des iranischen Außenminister Ali Akbar Welajati zu einer Islamkonferenz in Deutschland festhielt: Trotz Mordaufrufs gegen Salman Rushdie, trotz der mutmaßlichen Beteiligung des iranischen Geheimdienstministers Ali Fallahian an den Morden von vier kurdisch-iranischen Oppositionellen im Berliner Restaurant „Mykonos“.

Kinkel wollte im Interesse wirtschaftlicher Beziehungen an seiner Taktik des „kritischen Dialogs“ fortsetzen und mußte – auf Druck des Bundestages – die Islamkonferenz schließlich doch verschieben.

Auch gegenüber der Türkei machte Kinkel alles andere als eine souveräne Figur. Eigentlich wollte er im April 1995 mit seinem türkischen Amtsbruder Tacheles reden über den Krieg gegen die Kurden in der UNO-Schutzzone im Irak. Im Vorfeld sagte er markig: „Unter Partnern muß man deutlich sagen: So nicht! Zieht euch aus dem Nordirak zurück.“ Aber dann, als er neben dem freundlichen Herrn Inönü steht, spricht er von „berechtigten Sicherheitsinteressen der Türkei und nennt den Krieg „die Aktion im Norden Iraks“.

Am liebsten würde sich Klaus Kinkel wohl gar nicht in der Öffentlichkeit äußern, sondern statt dessen mit „stiller Diplomatie“ kleine Erfolge einfahren. So wie von 1977 bis 1979 als Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, wo ihm „effektive wie unauffällige Arbeit“ im Hintergrund bescheinigt wurde. Oder wie später als Leiter des Bundesnachrichtendienstes, den er, wie es hieß, „diskret und erfolgreich“ leitete. Doch Diskretion allein reicht eben nicht zum Außenminister. Markus Franz