Taler, Taler, du mußt wandern

■ Bundestag stimmt Sparpaket der Koalition zu. Oskar Lafontaine: „Kampfansage an die Beschäftigten“

Bonn (taz) – Der Bundestag hat dem sogenannten Sparpaket der Bundesregierung zugestimmt. Mit den Stimmen der Koalition wurde gestern unter anderem die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Verringerung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie Kürzungen der gesetzlichen Krankenversicherung beschlossen. Die geplanten Einschränkungen bei der Rentenversicherung sowie die Anhebung des Renteneintrittsalters können aus Verfahrensgründen erst später verabschiedet werden.

Das Paket, Teil des Regierungsprogramms „für mehr Wachstum und Beschäftigung“, bringt nach Aussagen von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) eine Entlastung der Arbeitskosten von 75 Milliarden Mark bis zum Jahr 2000 und soll der Beschaffung neuer Arbeitsplätze dienen.

Der Abstimmung ging ein fünfstündige fernsehtauglicher Schlagabtausch von Regierung und Opposition voraus. Der SPD- Vorsitzende Oskar Lafontaine bezeichnete die Maßnahmen als „Kampfansage an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmen“. Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) hielt ihm ein Goethe-Zitat entgegen: „Durch die Heftigkeit ersetzt der Irrende, was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt.“ Norbert Blüm hielt Lafontaine ein Zitat des SPD-Chefs vor, das er am Tag zuvor gelesen habe: „An einem harten Sparkurs kommen wir nicht vorbei.“ „Lieber Oskar“, fuhr Blüm triumphierend fort, „wo sind sie denn, die Sparvorschläge, wo sind sie denn?“

Neue kamen von der SPD gestern nicht. Die Parteien begnügten sich damit, ihre sattsam bekannten Positionen darzustellen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschränkten sich darauf, das Sparpaket als „zutiefst unsozial“ abzulehnen. Die Regierungskoalition beließ es bei der Beschimpfung der SPD als Ewiggestrige. Lafontaine schimpfte zurück: „Wenn man schon vom schlanken Staat redet, muß man mit der Schlankheitskur ja nicht beim Hirn beginnen.“ Seehofer wies an diesem Punkt darauf hin, daß die SPD im Bundesrat am Donnerstag die Sozialhilfereform mit abgesegnet hat. Die SPD handele scheinheilig: Gehe es um die Entlastung der Länderhaushalte, sei es soziale Gerechtigkeit, schlage die Regierung in Bonn das gleiche vor, sei es Sozialraub und Kahlschlag.

Der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler warf der Bundesregierung vor, sie versuche die erforderliche Konsolidierung der Haushalte mit genau der falschen Politik der letzten 14 Jahre, die sie erst in Unordnung gebracht habe. Ein Teil der Koalition wolle „hin zu dem, was man früher Kapitalismus nannte“, und verzichte bewußt auf eine gerechte Lastenverteilung. Das Nein der SPD sei „eine Sache des sozialen Anstandes“. Die Grünen-Abgeordnete Kerstin Müller sagte, das Paket sei trotz der erfolgten Änderungen noch immer zutiefst sozial ungerecht. Es schaffe keinen einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz. Sie kritisierte besonders, daß die Lohnfortzahlung auch für Schwangere gekürzt werden solle. Der PDS-Politiker Gregor Gysi kritisierte das Programm als gegen den Osten Deutschlands gerichtet, sozial ungerecht und in höchstem Maße unchristlich.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms erklärte, die Sparmaßnahmen seien lediglich ein Teil einer weitergehenden wirtschaftlichen Strukturreform. Solms riet der SPD, sich ihr Blockadeverhalten im Bundesrat sehr genau zu überlegen – schließlich werde man sich letztlich doch im Vermittlungsausschuß einigen. Das Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat wird vermutlich am 19. Juli eingeleitet. Markus Franz Seiten 5 und 10