Press-Schlag
: Goldene Zeiten

■ Die FIFA beharrt vernünftigerweise auf ihrer Golden-Goal-Regel

Was war doch das für ein Gejammer, als vor einigen Jahren die Rückpaßregel eingeführt wurde. Trainer, Torhüter, Verteidiger und willfährige Journalisten schimpften eine ganze Saison wie die Rohrspatzen und versuchten, eine Rücknahme der neuen Bestimmung zu erreichen. Heute ist das Verbot für die Keeper, Rückpässe in die Hand zu nehmen, längst akzeptiert, und es reicht, sich ein Spiel früherer Zeiten auf Video anzuschauen, um die segensreiche Wirkung der Regeländerung zu erkennen. Konsequentes Pressing wäre kaum möglich und die Trefferausbeute bei der EM noch geringer ausgefallen, da die ohnehin übervorsichtigen Abwehrreihen die wenigen brenzligen Situationen leicht hätten entschärfen können.

Ob Rückpaßverbot, drei Punkte oder Golden Goal, wann immer etwas Neues im Fußball eingeführt wird, ist das Geschrei groß, und es dauert geraume Zeit, bis Trainer und Fußballer überhaupt begriffen haben, was passiert ist. Bezeichnend war bei der EM, daß Mannschaften in den letzten Minuten der regulären Spielzeit wie früher auf Ergebnissicherung spielten. Dabei hätten sie zu diesem Zeitpunkt ein kassiertes Tor immerhin noch wettmachen können – im Gegensatz zur Verlängerung, wo die plötzliche Entscheidung durch das Golden Goal lauerte.

Natürlich kann die neue Regel nicht bewirken, daß auf einmal hemmungsloser Offensivfußball gespielt wird. Beim EM- Viertelfinale Frankreich–Niederlande änderte sich nach Ablauf der 90 Minuten logischerweise nichts, da von vornherein jedes Tor ein Golden Goal gewesen wäre. Bei einem offenen Match wie Deutschland–England dagegen war die Verlängerung dramatisch, nicht zuletzt, weil jeder um die finale Wirkung des nächsten Treffers wußte – eine überaus gerechte Art der Entscheidungsfindung, auch wenn Berti Vogts anderer Meinung ist.

Kleiner Ausflug in die Geschichte der Verlängerungen mit Golden-Goal-Option gefällig? WM-Endspiel 1966: England schlägt BRD 3:2 durch Wembley-Tor, und Hurst behält den Ball. WM-Halbfinale 1970: die BRD zieht nach Müllers Stocher-Tor durch ein 2:1 gegen Italiens Tretertruppe ins Endspiel gegen Brasilien ein. WM-Halbfinale 1982: Frankreich besiegt das unsympathischste deutsche Team aller Zeiten durch den Treffer von Trésor in der 93. Minute mit 2:1. Europapokal-Finale 1974: Bayern München verliert mit 0:1 gegen Atletico Madrid und gewinnt nie einen Landesmeister- Cup. Da sage noch jemand was gegen goldene Tore. Und was wäre schon passiert, wenn das letzte EM-Endspiel 25 Minuten länger gedauert hätte? Wahrscheinlich gar nichts, aber selbst wenn die Tschechen noch den Ausgleich geschafft hätten, wären wir nur wieder beim bloß vom DFB-Präsidenten Egidius Braun geschätzten Elfmeterschießen gelandet.

Häufig wird das für die Regeln im Weltfußball zuständige „Board“ der FIFA als konservativ gescholten, doch säßen dort Leute wie Vogts oder Braun, bestünde eine Fußball-Mannschaft immer noch aus 20 Feldspielern, die Torlatte wäre ein Bindfaden und der Keeper dürfte den Ball vor dem Abschlag zwanzig Minuten in der Hand halten. Zum Glück ist die FIFA so leicht nicht von ihrer Linie abzubringen. Als „sehr, sehr überhastet“ bezeichnete Sprecher Keith Cooper Spekulationen über eine baldige Abschaffung der Golden-Goal-Regel. Diese wird auf jeden Fall bei der WM 1998 in Frankreich angewendet.

Einen Vorwurf kann man der FIFA aber nicht ersparen: den des halbherzigen Vorgehens. Wenn schon Golden Goal, dann bitte bis zum bitteren Ende, ohne die fatale Möglichkeit, sich doch noch in das vermeintlich rettende Elfmeterschießen schleppen zu können. Sind die Beine genügend müde, fällt vermutlich selbst bei Frankreich gegen Niederlande irgendwann ein Tor. Matti