„Keiner hat freiwillig unterschrieben“

■ Pflegeversicherung: Heftiger Streit zwischen Kassen und Betreuungsdiensten Von K. Kutter

Im Vorwege der Pflegeversicherung hat es in Hamburg einen erbitterten Konflikt zwischen den ambulanten Pflegediensten und den Krankenkassen gegeben. „Die Kassen haben einen Coup gelandet, um möglichst viele Leistungen an die Pflegeversicherung abzuschieben“, sagt Joachim Wagner vom Landesverband der ambulanten Alten- und Krankenpflege.

Die Abrechnung der häuslichen Altenpflege, die im vergangenen Jahrzehnt in Hamburg zur weit verbreiteten Alternative zum Pflegeheim wurde, ist verwirrend kompliziert. Ein Einsatz bei einem pflegebedürftigen Menschen wie Gertrud S. (siehe nebenstehenden Text) wird derzeit von drei, ab dem 1. April mit der Pflegeversicherung sogar von vier Kostenträgern finanziert: den Krankenkassen, dem Sozialhilfeträger, der Pflegeversicherung und – soweit möglich – den Patienten selbst.

Während die Krankenkassen für die medizinische Versorgung aufkommen, sollen die Sozialämter und die künftigen Pflegekassen für die „Grundpflege“ und die „hauswirtschaftliche Versorgung“ zahlen. Nach einem neuen Vertragswerk, das den rund 250 Pflegebetrieben im Herbst von der Arbeitsgemeinschaft der Kassenverbände aufgedrückt wurde – Nichtunterzeichnern wurden Rechnungen für bereits erbrachte Leistungen zurückgeschickt –, wurde just der von den Kassen zu zahlende Katalog „rigoros zusammengestrichen“, wie Joachim Wagner es nennt. Leistungen wie Verabreichung von Medikamenten, Blutdruckmessen, Geh- und Bewegungsübungen und Einreibungen sollen künftig zur Grundpflege zählen. Wagner: „Damit verschiebt sich die Kostenlast auf Sozialhilfeträger und Selbstzahler.“ Ein Patient zum Beispiel, der bislang zweimal täglich besucht wurde, muß den zweiten Einsatz, da zur „Grundpflege“ umdefiniert, künftig selbst zahlen. Monatliche Kosten 607 Mark.

Auch die Hamburger AOK hat ihr Vertragswerk geändert und statt Einzelleistungsvergütung Pauschalen eingeführt. Ein Einsatz am Tag wird mit 32 Mark bezahlt, für zwei Einsätze gibt es 57, für drei und mehr aber nur noch 70 Mark. Abzüglich von 12,95 Mark Wegegeld sind dies kümmerliche fünf Pfennig für den dritten Besuch. „Das neue Modell rechnet sich für Betriebe mit leichtpflegebedürftigen Patienten“, sagt Joachim Wagner. Einsätze bei Schwerpflegebedürftigen wie Gertrud S. sind kaum mehr finanzierbar. Der Pflegedienst, der sie betreut, hat einen Verlust von 1300 Mark pro Monat.

Die Unterzeichnung der neuen Verträge, die die privaten Pflegedienste im Oktober mit Hilfe des Kartellgerichts vergeblich zu verhindern suchten – Wagner: „Keiner, den ich kenne, hat die freiwillig unterschrieben“ – hat bereits einige Betriebe zur Aufgabe gezwungen. Andere müßten die Kosten minimieren, um zu überleben. Wagner: „Das heißt Fahrradfahren, auf die Bürokraft verzichten, mehr Selbstausbeutung üben.“

Hört man Uwe Biermann an, den maßgeblichen Verhandler der AG Krankenkassen, so war die ganze Aufregung umsonst. Bis zum 1. April würden die Bundesverbände einen verbindlichen Katalog verabschieben, der dann auch für Hamburg gültig sei, sagt Biermann: „Hätten wir gewußt, daß auf Bundesebene Diskussionen laufen, hätten wir in Hamburg gar nicht erst begonnen.“ Anlaß, die Verträge zu kündigen, sei deren „redaktionelle Überarbeitung“ gewesen, sagt der Kassenvertreter. Insider hingegen fürchten, daß das Hamburger Vertragsmodell Vorbild für eine bundesweite Regelung wird.