„Ein Stück Sprachersatz“

■ Rüdiger Bredthauer, Polizeisoziologe in Hamburg, über Gewalt als Hinweis auf Orientierungslosigkeit

taz: Mal wieder haben Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommern losgeprügelt...

Rüdiger Bredthauer: Das läßt sich sicher nicht mit Lokalkolorit erklären. MV hat allerdings die Besonderheit, daß der Anteil von Jugendlichen größer ist als in anderen Bundesländern.

Und was ist das besondere Problem in Mecklenburg?

Seit dem Zusammenbruch der jugendspezifischen Strukturen im Osten ist der frühere Standard noch nicht überall wiederhergestellt worden. Noch immer leiden Jugendliche unter dem Kulturschock durch die westlichen Lebensstile und dominierenden materiellen Orientierungen.

Ich schlag mit der Baseballkeule auf jemanden ein, weil ich keine Arbeit und keinen Jugendclub habe?

Ich hab' nicht von arbeitslosen Jugendlichen gesprochen. Solche Taten werden meist nicht von Rechtsextremen, Randgruppen oder Arbeitslosen begangen, sondern von diffus rechtsorientierten, sozial integrierten Gruppen.

Das rechte Umfeld der Täter scheint erwiesen, aber die Zusammengeprügelten gehörten nicht zur bevorzugten Opfergruppe.

Der Anlaß ist oft ganz banal. Oft sind Jugendliche zusammen, die bereits durch Gewalt auf ihr Ohnmachtsgefühl hingewiesen haben. Hintergrund ist meist große Perspektiv- und Orientierungslosigkeit. Gewalt hat für einige diffus instrumentellen Charakter. Nicht im Sinne von Protest wie bei Linken, aber ein Stück Sprachersatz. Gewalt ist auch ein Zeichen von mißglückter Kommunikation.

Kommunizieren per Baseballschläger?

Da brauchen Sie gar nicht ironisch zu werden. Wir sind schließlich nicht in solchen Lebenslagen! Negative Selbsteinschätzung korreliert regelmäßig mit größerer Gewaltneigung. Junge Menschen sehen subjektiv keine andere Möglichkeit mehr als Gewalt, das wird durch eine ganze Reihe von Untersuchungen belegt. Sie können ihre Lage weder reflektieren noch selbständig verändern.

Sie könnten einfach die Baseballkeulen zu Hause lassen.

Für einen kleinen Teil der Jugendlichen in Ost und West ist ein Baseballschläger ein Stück gesellschaftlicher Normalität, der gehört zur Grundausstattung. Frage ist doch, warum haben sie ihn bei sich. Die Jugendlichen selbst geben häufig Selbstverteidigungsgründe an, nur ein Viertel spricht von Vergeltung. Das ist das Ergebnis einer Evaluationsstudie des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt. Man muß den situations- und gruppendynamischen Zusammenhang sehen. Wie hier, wenn man sich zum Absaufen zusammengefunden hat usw.

Der Jugendgruppenleiter wollte offenbar verhindern, daß die Skins über den Zeltplatz marschieren. Dann ist die Situation eskaliert. Wäre es besser gewesen, er hätte sich so lange wie möglich zurückgehalten?

Im Hintergrund steht meist ein Identitätskonflikt bei den Angreifern. Der läßt sich bei einer Intervention unter Umständen kompensieren. Dann würde das Bedürfnis, die Gewalt auszuleben, nicht mehr auftreten. Es ist aber außerordentlich schwierig und nicht ohne Risiko, dazu einen generellen Verhaltensratschlag zu geben.

Bei diesem Überfall waren erstaunlich viele Mädchen dabei.

Diffus rechte Ideologie wird auch von vielen jungen Frauen geteilt. Aber nicht notwendigerweise auch die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden. Ob die Mädchen in diesem Fall zugeschlagen haben, muß noch geklärt werden.

Was läßt sich tun?

Vollständige Prävention kann es nicht geben. Und es nervt, wenn gerade linke Kritiker nach der Polizei schreien. Da kann ich als Alt- 68er nur gequält husten. Ich möchte noch einmal daran erinnern, daß derartige gesellschaftlichen Probleme nun einmal nicht nur repressiv zu lösen sind. Also – mehr interbehördliche Kooperation und zivile Verantwortung. Interview: Bascha Mika