Hängengeblieben im Luxushotel

■ Melodien für Millionen, live wie aus dem Radio: Die wiedervereinten Eagles in der Berliner Waldbühne. Bloß Joe Walsh steuert eine kleine Dissonanz bei

„Hotel California“ spielte diese Band als ersten Song ab 19 Uhr 30 in der Berliner Waldbühne, beendete den Song nicht – wie man befürchten mußte – durch nachempfundenes Ausblenden, sondern auf einen knappen Akkord. Damit war die Fünfergruppe von ihrer mythischen Last frei und konnte übergehen zum Programm.

Zum Programm allerdings gehörte auch die Bluesband eines 19jährigen aus New Orleans, die für das Konzert der Eagles, anders als so manche Unterstützergruppen, eine veritable Funktion hatte: die Kenny Wayne Shepperd Band bediente ein echtes Genre, wenn auch zu deutlich in den Grenzen des Gehabten. Ein vergleichbares Konzept, die Eagles als „authentische Band“ aufzuwerten, wäre gewesen, Wynton Marsalis die Eröffnung zu überlassen.

Als dritter von fünfundzwanzig Songs kam eine besonders verblasene Fassung von „Johnny Come Lately“, vorgetragen von Glenn Frey mit andeutungsweisem Rock- 'n'-Roller-Outfit, und im vierten Song, wieder mit der Stimme Don Henleys – so hell und rauh wie ein Zehnjähriger, der von einem Pfadpfinderwochenende zurückkehrt –, war die Luft schon raus. Um nicht zu sagen: ungewöhnlich raus. Die Leute wandten sich ihren Nachbarn zu, als wäre Pause.

Irgendwie haben diese Performer in den letzten fünfzehn Jahren reichlich Zeit gehabt, in den Spiegel zu schauen und Boutiquen abzuklappern.

Die Eagles als Replikanten ihrer selbst

Es ist, mit Ausnahme einer doch sehr, sehr uninspirierten Fistelnummer von Timothy B. Schmit, beim alten Material aus den Siebzigern geblieben. Schmit gibt mit Matte und Tremolo den romantischen Hardrocker, Henley und Frey sind als knappe, kontrollierte, kurzhaarige Typen offensichtlich durch Ähnlichkeit gestrafte Konkurrenten, und Don Felder bringt mit seinem Silbervollbart eine gewisse Fleetwood-Autorität mit. Vier jüngere Musiker, Multiinstrumentalisten allesamt, stricken professionell die fehlenden Maschen und bleiben ansonsten Hintergrund. Diese Band hat das E-Gitarren-Solo eingeschmolzen ins Easy Listening – also einen phallischen Akt zur Allerweltsnummer umgebogen.

Sie ist, müßte man sagen, ein Replikant ihrer selbst, wenn es nicht Joe Walsh gäbe. Er ist mit dem Rock alt geworden. Er macht den Eindruck, als habe er manche Flasche zuviel geleert und keinen Tag das Instrument aus der Hand gelegt.

Wie viele Kurzsichtige hat er etwas Tapsiges, Bärenhaftes. Mit seinen bäurischen Einlagen und verwaschenen Bottleneck-Akrobatiken bringt er einen dissonanten Ton ins erste Set.

Das zweite rettet er, sofern man es retten kann. Er ist der Joker, der von der Bühne aus einem Fernsehmann den Kopfhörerbügel über die Ohren klappt, und er führt gelegentlich Sprünge vor, die er wahrscheinlich schon vor dreißig Jahren nicht beherrschte.

Keine Frage, daß sein Songwriting der Suggestion von Henley und Frey nicht gewachsen ist: „Rocky Mountain Way“ ist wie mit dem Kuli zahnstochern. Aber wenn es einen Grund gibt, die Songs über die magischen fünf Minuten hinaus in ein halbwegs elaboriertes elektrisches Set zu verlängern, dann seine offene Verstärkerröhre und sein präziser Mut zur Lücke.

Seine Gegenwart demonstriert, mit welch geringem sozialen Einsatz die anderen ihre Musikerkarrieren gefüttert haben. Die Wiederkehr der Eagles ist so aufregend, wie eine Welttournee von Abba es wäre. Don Henley ist eben nicht Neil Young; und das C, S, N & Y-Quartett brauchen wir nicht als lebendes Museum, weil wir uns noch gut erinnern.

Die Eagles bringen natürlich auch Erinnerungen im wörtlichen Sinn, diese „nights“, die „party“ und die Sonnenuntergänge hat es für diesen oder jene gegeben. Eigenartig, wie disparat hier oder dort gejubelt wird, wenn die Melodien Gestalt annehmen. Aber die Eagles mit ihrem imperialen Namenslogo bleiben die Leute aus dem Radio; weniger das Licht einer Situation als der Hintergrund, auf den Erfahrungen aus Mangel an Alternativen projiziert werden. Wenn sie in Berlin Leute zwischen sechs und sechzig zum Hüpfen bringen, dann mit einer Liste von Anleihen, in Motown, bei Clapton, den Allman Brothers.

Geige hin, Mandoline her: nie hatten sie ein Ohr für die Intensitäten von Folk. Die Eagles sind Bewohner des Luxushotels mit den falschen Freunden geblieben, wo man sich jederzeit abmelden, das man aber nie verlassen kann. Ulf Erdmann Ziegler

Morgen in Frankfurt, am Samstag in München