Matchwinner wider Willen

■ Der DFB-Pokalerfolg von Werder Bremen im Elfmeterschießen gegen Bayer Leverkusen weckt schlimmste Befürchtungen für die beginnende Bundesliga-Saison

Bremen (taz) – Hernach war nur noch eitel Freude in Bremen. Hernach fegte ein aufgekratzter Willi Lemke durch die Gänge, die spärlichen Resthaare standen lotrecht vom erhitzten Schädel. Hernach hatte Werder-Trainer Dixie Dörner „zwei in etwa gleichwertige Mannschaften“ gesehen, der Glücklichere habe halt gewonnen. Gerade hatte sich Werder durch ein 5:4 (1:1, 0:0) nach Elfmeterschießen gegen Bayer Leverkusen im DFB-Pokal weitergeduselt, die Grün-Weißen hatten sich jubelnd in den Armen gelegen, die Leverkusener waren mit hängenden Köpfen vom Platz geschlichen.

Doch wer nun denkt, das wäre die Geschichte eines unvergeßlichen Pokalkrimis, der irrt. Bremen gegen Leverkusen, das war ein fußballerisches Elendstreffen. Und das Schlimmste: Es währte nicht 90, sondern bittere 120 Minuten lang. Geboten wurde ein armseliges Gekicke, das die allerschlimmsten Vorahnungen auf die Spielstärke der Bundesliga kurz vor ihrem Saisonbeginn am kommenden Wochenende aufkommen läßt.

Zwei Matchwinner gab es am ungewohnt sommerlichen Bremer Sonntag abend: Der eine, zweifellos, heißt Oliver Reck. „Der stand immer richtig“, hatte ZDF-Großanalytiker Kalli Feldkamp bemerkt. Gut gesehen, insbesondere das „stand“. So sehr die Leverkusener sich mühten, das Bremer Tor in seiner gesamten Breite anzupeilen, meist entschiedenen sie sich doch für genau den Platz, an dem Reck schon stand. Und der konnte so schnell nicht ausweichen.

Der zweite Bremer Matchwinner hieß aber Bruno Labbadia. Denn bis zum Platzverweis des Bremer Mittelstürmers hatte die rheinische Combo unter ihrem neuen Coach Christoph Daum das Spiel fest im Griff. Mal um Mal blieben die Bremer schon im übervölkerten Mittelfeld hängen, machten aber ihrerseits artig Platz für die eine und andere flotte Leverkusener Kombination. Die Gäste spielten zwar keine allzu zwingenden Chancen heraus, aber wenigstens hatten sie den Ball. Ganz im Gegensatz zu den Bremern. Deren offensives Mittelfeld mit dem bemühten Herzog und dem pomadigen Cardoso mochte partout nicht über die Mittellinie rücken, damit stand der ohnehin schwachbrüstige Sturm im Leverkusener Niemandsland.

Aber dann fuhr Bruno Labbadia in der 40. Minute am Leverkusener Strafraum Christian Wörns derart grob und dusselig von hinten in die Knochen, daß Schiedsrichter Heinemann gar keine Wahl hatte, als Rot zu ziehen. Damit war aber das psychologische Setting des Spiels auf den Kopf gestellt. Werder, mit der Rolle der Heimmannschaft angetreten, das Spiel zu machen, konnte sich nun ruhig aufs Verteidigen und Kontern verlegen. Daß die fußballerische Phantasie fehlte, das fiel nun nicht mehr ins Gewicht. Jetzt standen die Zeichen auf Kampf. Die kämpferischen Leverkusener hingegen sollten nun aber plötzlich das Spiel machen. Himmel hilf! Wie geht das noch? Wir lernen: Wenn Mittelmaß auf Mittelmaß trifft, da laufe besser gleich nur mit zehn Mann auf. Zumal das spärlich vertretene Bremer Publikum nach dem Platzverweis aufgewacht war und deutlich an Lautstärke gewonnen hatte. Nicht gerade für die Bremer, aber dafür gegen die Leverkusener.

Der Standardsatz nach solchen Spielen beginnt immer gleich: „Das sind so Spiele...“ Das sind so Spiele, in denen ein astreines Tor wegen angeblicher Abseitsstellung nicht gegeben wird (Bode für Bremen, kurz vor der Halbzeit). Das sind so Spiele, in denen kurz vor Ende ein zweifelhafter Elfmeter verhängt (Bodes Hand wird angeschossen) und anschließend gegen die Latte gesemmelt wird (Meijer in der letzten Minute der regulären Spielzeit). Das sind so Spiele, in denen dann doch noch eine Mannschaft in der Verlängerung in Führung geht, der Schiedsrichter dann aber einen Konzessions-Elfmeter geben muß und der Ausgleich fällt. Das sind so Spiele, die dann im schieren Glück des Elfmeterschießens entschieden werden (Wörns versucht es mittig, doch da steht Reck, s.o.; Bestschastnich verwandelt den entscheidenden Strafstoß). „Bei elf gegen elf hatten wir einen Feldvorteil“, meinte Daum hinterher. Soll heißen: bei elf gegen zehn nicht mehr. „Wir haben uns heute selbst geschlagen.“

Allein: Matchwinner Labbadia sah seine Rolle ganz anders. „Vorbereitet“ hätte Daum seinen Platzverweis, ja gar den Spieler Wörns angewiesen, sich „doch beim nächsten Mal fallen zu lassen“. Worauf Werder-Manager Willi Lemke am Montag Protest beim DFB ankündigte. Trainer Dörner hofft auf „Freispruch“. Jochen Grabler

Bayer Leverkusen: Heinen - Nowotny (55. Lehnhoff), Wörns, Happe - Rydlewicz, Ramelow, Reyna (62. Nico Kovac), Sergio, Heintze - Kirsten, Meijer (112. Feldhoff)

Tore: 0:1 Rydlewicz (92.), 1:1 Cardoso (103., Foulelfmeter)

Rote Karte: Labbadia (40.) wegen groben Foulspiels

Werder Bremen: Reck - Baiano, Wolter (62. Votava), Ramzy - Pfeifenberger (120. Brand), Todt, Herzog, Cardoso, Bode - Labbadia, Hobsch (73. Bestschastnich)