Tschenstochau im Madonna-Fieber

■ Das polnische Heiligtum sorgt vor allem für volle Kassen bei Geschäftsleuten

Wunder geschehen in Tschenstochau Jahr für Jahr, und übermorgen ist wieder eines fällig. An jedem 15. August versammeln sich Hunderttausende meist jugendlicher Pilger aus allen Landesteilen Polens auf der Wiese der Jasna Gora, dem Hellen Berg, um einen Blick auf die Schwarze Madonna zu wagen. Das berühmte Bildnis in der Kapelle des Pauliner-Klosters wird nur zu besonderen Anlässen enthüllt. Wenn an Mariä Himmelfahrt die Jalousie hochgeht und den Blick freigibt auf die Ikone aus Silber und Ebenholz, weinen viele Gläubige vor Ergriffenheit.

Seit Jahrhunderten lockt es Kranke, Blinde und Lahme in die Stadt an der Warthe, die sich von der Schwarzen Madonna Fürbitte und Genesung versprechen. An den Wänden der Kapelle zeugen Krücken und Prothesen von der wundertätigen Heilkraft der Himmelskönigin. Auf Anfrage berichten Mönche, die unablässig Madonna-Fans durch die Kapelle führen, nur zu gerne von jenem 15. August vor ein paar Jahren, als ein Mann, der sich humpelnd dem Bildnis der Mutter Gottes genähert hatte, nach inständigem Gebet die Krücken ablegte und ohne fremde Hilfe den Ort verließ. Ärzte und Psychologen erklären solche „Wunder“ allerdings mit den heilsamen Kräften, die einzelne Menschen mobilisieren können, die in tiefer Religiosität verwurzelt sind.

Fakt bleibt, daß die Mär von den Wundertaten der Schwarzen Madonna Millionen in ihren Bann zieht. Sie soll ja nicht nur Kranke heilen. Die Dame, vor der tagtäglich Tausende meist älterer Pilger in die Knie gehen, hat der Legende nach noch ganz andere Sachen bewirkt. 1655 gelang es einer Mannschaft aus Mönchen, Soldaten und Adligen, verschanzt in den Gemäuern des Klosters, dem Ansturm marodierender schwedischer Armeen zu widerstehen. 1770 wiederholte sich dieser Verteidigungskampf, diesmal gegen die Truppen der russischen Zarin Katharina II. Und schließlich das „Wunder an der Weichsel“: An Mariä Himmelfahrt 1920 jagten Josef Pilsudskis Mannen die Rote Armee, nahe Warschau gerade vernichtend geschlagen, zurück nach Osten.

Und hat nicht auch der Solidarność-Führer und spätere Staatspräsident Lech Walesa die sozialistische Diktatur mit Hilfe der Fürbitte der Schwarzen Madonna in die Knie gezwungen? Millionen sahen vor der Wende in der Wallfahrt nach Tschenstochau die einzige legale Möglichkeit, ihrem Protest gegen das 1981 verhängte Kriegsrecht Ausdruck zu verleihen.

Wie auch immer, die echten oder vermeintlichen Wundertaten sind auf jeden Fall lukrativ: einmal für die Pauliner, die in den klostereigenen Devotionalien-Shops von Reproduktionen der Schwarzen Madonna über Papst-Wojtyla- Stecknadeln bis zum Video „Schöpfung der Welt“ für Taubstumme alles verscherbeln, was der fromme Katholik fürs Diesseits so braucht; aber auch für so manch fliegenden Händler, der mit dem Verkauf von Papstplaketten, Heiligenbildchen oder auch nur solch profanen Erdengütern wie Würstchen oder Mineralwasser eine wundersame Sloty-Vermehrung betreibt. Henk Rajer, Warschau