Ein Zug wie ein Cello

Eine Probefahrt mit dem Probe-Transrapid im Emsland, ein paar Zahlen über den schwebenden Flitzer und eine unbeantwortete Frage  ■ Aus Laaken Markus Franz

Der Transrapid“, sagt der Mann von der Transrapid-Gesellschaft, „hat einen sonoren Klang.“ Er sei mit einem Cello zu vergleichen. Der Mann von Transrapid ist entweder ein Poet, oder er lügt. Aber vielleicht lügt er aus Liebe, und das ist schon wieder poetisch.

Schauen wir uns ein Cello an: Streichinstrument der Familie Viola da braccio, 75 Zentimeter Korpus – etwa 120 Zentimeter Gesamtlänge und der Stimmung C-G- d-a. Schauen wir uns einen Transrapid an – und zwar da, wo er schon fährt, in Laaken, Emsland: Das überschnelle Hätschelkind des Bundesverkehrsministers, 150 Meter lang und bei voller Leistung offiziell 69 Dezibel (A). Ist ein Transrapid mit einem Cello zu vergleichen?

Der Poet von der Transrapid- Gesellschaft: „Stellen sie sich ein Orchester vor, Freiluftkonzert mit Justus Frantz. Mit allen Instrumenten. Wenn sie sich von dem Konzert entfernen, dann hören sie als erstes das Cello nicht mehr (also den Transrapid). Zuallerletzt hören sie noch die Flöte.“ Die Flöte ist der Intercity-Express (ICE).

Der Mann will sagen: Der Transrapid ist zwar laut. Aber nicht so laut wie ein ICE. Wenn der Transrapid voll aufdreht, ist er zwar lauter, aber diese Laute sind angenehmer als die des ICE. Sagt der Mann vom Transrapid. Wir werden sehen.

Und schnell ist der Transrapid. 550 Stundenkilometer Spitze. Im Dauerbetrieb rauscht er locker über 400 Kilometer in der Stunde. Wenn er nicht langsamer fahren muß, weil die Anwohner keine Celloklänge mögen – wie in Hamburg, Schwerin und Berlin.

Das schmälert natürlich den Zeitgewinn gegenüber dem Intercity-Express. Auf der Strecke Hamburg – Berlin (Lehrter Bahnhof), die im Jahr 2005 in Betrieb gehen soll, würde der Transrapid statt einer Stunde und 30 Minuten wie der ICE nur eine Stunde brauchen. Der ICE ist also in Wirklichkeit ein Bummelzug.

14,5 Millionen Menschen pro Jahr, sagt der Mann vom Verkehrsministerium, brauchen deshalb den Transrapid. Andersherum stimmt's: Der Transrapid braucht 14,5 Millionen Menschen pro Jahr, damit er ein wirtschaftlicher Erfolg wird.

Zur Zeit reisen etwa 1,7 Millionen Menschen jährlich mit der Bahn zwischen Hamburg und Berlin. Weil der Zug bisher so langsam sei, erklärt der Mann vom Verkehrsministerium. Außerdem würden 130 Flüge pro Woche überflüssig: sehr ökologisch, so ein Transrapid.

Im grünen Emsland, in Laaken, steht die Transrapid-Versuchsanlage. Rund 100.000 Menschen sind schon rund 300.000 Kilometer gefahren. Auf einer Geraden mit zwei Schleifen.

Betriebsleiter Günter Steinmetz ist seit elf Jahren hier. Er ist so ehrlich wie einer sein kann, der seit elf Jahren an einem Projekt arbeitet, in das in 26 Jahren Entwicklungszeit zwei Milliarden Mark investiert worden sind: „Wenn man sagt, man kann drei Stunden zwischen Hamburg und Berlin brauchen, kann man auch ein anderes System als den Transrapid nehmen“, sagt Günter Steinmetz. Aber wer will das schon.

Irgendein Hinterwäldler vielleicht, der fragt, wozu man auf 300 Kilometern eine halbe Stunde schneller sein muß? „Eine halbe Stunde ist wichtig!“ sagt der Mann vom Verkehrsministerium. Weshalb, bohrt der Technikfeind ? „Das geht nicht ohne“, antwortet der Mann vom Verkehrsministerium. „Das ist eine Frage der wirtschaftlichen Märkte.“ Ach so.

Der Mann vom Transrapid ist, wie gesagt, ehrlich. „Wieso wir schneller sein müssen? Das ist eine philosophische Frage. Die stellen wir uns nicht.“ Als Transrapid- Verkäufer kann der Mann nicht Fragen stellen, die das Produkt schon beantwortet hat. Er kann sie deshalb auch nicht mehr beantworten. Aber er kann den Fragesteller besänftigen: „Die Frage ist schon berechtigt.“

Ganz klar, die Zeit ist reif für den Transrapid – auf jeden Fall aber für eine Probefahrt mit dem Probe- Transrapid.

Als erstes erleben wir zwei Vorbeifahrten. Eine mit Tempo 170 und eine mit Tempo 420: Um mal zu hören, wie so ein Cello klingt. In einem Bus geht es an den Betonstützen vorbei, auf denen der Transrapid musiziert. „Der Fahrweg soll noch filigraner werden“ entschuldigt der Mann von der Versuchsanlage die klobige Fahrbahn, die sich über satten Weiden erhebt. Man müsse ja auch mal den „zusätzlichen Freiheitsgrad der Aufständerung“ sehen. Tiere könnten drunterherlaufen. Die Äcker würden nicht zerschnitten. Da kommt er ja. Rinder, die soeben noch unter den Stelzen weideten, spritzen weg. Eine kleine Stampede. Aber zu hören ist er kaum, der Transrapid. Bei Tempo 170 klingt er wie ein Schuß aus einer schallgedämpften Pistole. Ein Cello ist lauter.

Wenig später kommt er mit 420. Diesmal sagt niemand: „Psst, er kommt.“ Er ist zu hören, sobald er ins Blickfeld gerät. Es pfeift, dann donnert es, dann pfeift es wieder. Ein fliegender Konzertwagen, mit Trommeln und Flöten.

Dann dürfen wir selber.

Der schlohweiße Herr Hugenberg, ein rüstiger Rentner, begrüßt uns als Fahrgastbegleiter. Wo es doch eigentlich Fluggastbegleiter heißen müßte: „Unser Fahrzeug hat jetzt abgehoben, haben Sie es bemerkt?“ In der Tat richtet sich der Transrapid im Emsland vor dem Start auf wie ein Sprinter im Startblock.

Unmerklich zieht er auf Tempo 200 an. „251, Sie merken jetzt schon die Fliehkraft“, jubelt Herr Hugenberg: „Jetzt sind wir schon über 300, 360, 401...“ Bäume und Büsche rasen vorbei, Hingucken führt zu Übelkeit. Es rüttelt und pfeift. Aber wie sagt doch der Mann vom Transrapid: Es handele sich noch um einen Probe-Zug. Den 07. „Das ist wie ein Ferrari unter dem Hintern.“ Der neue Testwagen, der 08, fahre dann schon wie ein Citroän.

Einer der Probefahrer sagt: „Der ICE rüttelt mehr.“ Ein anderer erinnert sich an die Euphorie bei der ersten Zugfahrt von Nürnberg aus: „Hunderttausende säumten die Schienen.“ Der Hinterwäldler philosophiert noch immer über Geschwindigkeit: „Du fliegst irgendwohin, am selben Tag zurück und fragst dich, wo war ich?“

Bei einem Cellokonzert, im Emsland, vermutlich – ohne Justus Frantz.