Mit dem Monster dealen

Gewalt im Kino VII: Herzensergießungen eines sensiblen Gewaltfreundes. Ein Selbstgespräch  ■ Von Jörg Lau

Seit Jahren hast du in Diskussionen immer wieder die Rolle angenommen, die Bilder der Gewalt gegen Zensur und selbst gegen pädagogische Rahmung zu verteidigen. Vielleicht, denkst du jetzt manchmal, geht das zu Ende: Auf breiter Linie scheint der Gedanke akzeptiert, daß in einer Person sowohl ein eigenes, nicht weiter zu rechtfertigendes Interesse an Bildern der Gewalt, als auch die Überzeugung Platz finden kann, daß „Grausamkeit das Schlimmste ist, was wir tun“ (Richard Rorty).

Viele Leute können damit leben, daß diese beiden Regungen in der Brust eines Kinogängers keinen Widerspruch bilden, sondern parasitär voneinander profitieren: Manche Bilder der Grausamkeit bringen dein moralisches Selbst in Gefahr; du mußt dich damit versöhnen, daß du sie genießen kannst. Mit der persönlichen Möblierung deines moralischen Selbst im Laufe solcher Auseinandersetzungen nimmt nun aber nicht das Interesse an Gewalt ab, sondern die Differenzierung deiner Reaktionsmöglichkeiten zu. (Es ist kein Ergebnis von „Abstumpfung“, sondern von Differenzierung, wenn der „Hund von Baskerville“ dir keinen Schauder mehr verpaßt.) Sollte sich eine solche Sicht durchsetzen, was die Debatte auf diesen Seiten ja hoffen läßt, um so besser, ein Scheinproblem weniger.

Als Zuschauer nicht hart im Nehmen

Verteidiger der gewalttätigen Bilder ist ohnehin ein Part, der dir nicht gerade auf den Leib geschrieben ist, denn als Zuschauer bist du eigentlich nicht besonders hart im Nehmen. Wenn nicht alles täuscht, wirst du sogar mit den Jahren eher empfindlicher statt abgebrühter, wie du es dir einst vom Erwachsenendasein versprochen hast. Manchen Grausamkeiten, deren Anblick du dich seinerzeit als Knabe unter deinesgleichen noch wie Mutproben unterzogen hast, kannst du dich heute einfach nicht mehr aussetzen. Dann wieder kannst du mit großem Vergnügen Szenen betrachten, die dir selber in der Nacherzählung unerträglich erscheinen.

Für „Trainspotting“ wird unter anderem mit einer Szene geworben, in der zwei der Protagonisten mit einem Luftgewehr auf einen Kampfhund schießen. Daß diese Szene als lustige angelegt ist, erregt deinen Widerwillen so sehr, daß du wegschauen mußt, wenn sie den Trailer auf MTV zeigen. Du wirst dir den Film daher wahrscheinlich gar nicht erst ansehen. Hingegen hast du bei „Pulp Fiction“ herzlich lachen müssen, als die beiden Ganoven ihre Geisel aus Versehen erschießen – die Kugel aus John Travoltas Revolver, die dem verängstigten Jungen auf dem Rücksitz des Fluchtfahrzeugs den Kopf wegpustet, wird von einem Schlagloch ausgelöst, und nun haben die beiden Gangster nichts Dringenderes zu tun, als sich darüber zu streiten, wer die Schweinerei wird aufwischen müssen: superlustig! Lustig? Wie kannst du nur? Ist das nicht, um eine jüngst in dieser Zeitung gefallene Phrase zu benutzen, ein Fall von „Täterhumor“?

Dann hätte dir allerdings auch die andere Szene von Tarantino gefallen müssen, von der in dieser Reihe schon die Rede war – die Folterszene in „Reservoir Dogs“. Zuerst hattest du angenommen, der Folterknecht, Mr. Blonde, habe die Absicht, dem auf einem Stuhl gefesselten Polizisten bestimmte Informationen abzupressen. Als jener endlich bereit ist, das vermeintlich Gewünschte preiszugeben, gibt der Folterer zu verstehen, daß er gar nichts erfahren will: Wir befinden uns längst schon in einer Welt jenseits der Deals, Verträge, Absprachen. Der Peiniger verfolgt einzig den Zweck, das Selbst und die Welt des Gepeinigten zu vernichten, ganz so wie die amerikanische Philosophin Elaine Scarry es als Struktur der Folter beschrieben hat. Er legt es darauf an, sein Gegenüber zu zerbrechen, ein ehrenwertes Thema der Sozialanthropologie seit George Orwells Folterszenen in „1984“, hier geschickt in einen Gangsterfilm geschmuggelt – und für dich so schrecklich anzusehen, daß du augenblicklich das Kino verlassen mußtest. Der Moment, in dem du ruckartig aufstandest, war der, in dem der Regisseur dich in seiner Welt mit einem Monster zurückgelassen hatte, mit dem man keine Deals mehr machen konnte. Dabei läßt du auf Monster im Prinzip natürlich nichts kommen!

Ungeheuer, eigentlich kein Problem

Die Ungeheuer, das weißt du schon aus den Märchen, sind solange kein Problem, wie sie mit sich handeln lassen. (Am Ende muß man sie dann oft doch noch totschlagen, wie etwa Robert Mitchum als verückten Prediger in Charles Laughtons „Die Nacht des Jägers“.) Aber solange man sie hinhalten kann, womöglich mit einem „Köder für die Bestie“, ist nicht alles verloren. Deshalb mußtest du später vor dem schrecklichen Amon Göth aus Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ nicht weglaufen, sosehr es dich auch vor ihm gegraust hat. (Eine Welt voller Monster, mit denen nicht mehr zu handeln ist, hast du dir dann aber doch einmal erzählen lassen, in „Shoah“. Aber auch hier konntest du manchmal nur deshalb weiter dabeibleiben, weil du aus der Rahmenerzählung wußtest, daß die Ungeheuer schließlich besiegt worden waren.)

Gut, nehmen wir an, du bist nicht durch und durch mit „Täterhumor“ vergiftet. Warum lachst du dann aber angesichts mancher Gewaltszenen, etwa wenn Indiana Jones einem Gegner, der den ganzen Hokuspokus asiatischer Kampfkunst bedrohlich und lautstark vorführt, mit einem gezielten Schuß in den Kopf in die Parade fährt? Solche Gewaltkomik funktioniert offenbar ähnlich wie in jenen Slapstick-Filmen und Cartoons, mit denen du als Kind visuell aufgepäppelt worden bist. „Wir lachen immer dann, wenn eine Person uns an ein Ding erinnert, so lautet die klassische These von Henri Bergson. Sigmund Freud ergänzte sie in seiner Studie „Der Humor“: „Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narzißmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, daß ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja es zeigt, daß sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind... Die Hauptsache ist die Absicht, welche der Humor ausführt, ob er sich nun an der eigenen oder an fremden Personen betätigt. Er will sagen: Sieh her, das ist nun die Welt, die so gefährlich aussieht. Ein Kinderspiel, gerade gut, einen Scherz darüber zu machen.“

Das eingeschüchterte Ich trösten

Aus diesem Grunde, „wenn es wirklich das Über-Ich ist, das im Humor so liebevoll tröstlich zum eingeschüchterten Ich spricht“, möchtest du die nicht zufällig gerade hierzulande anrüchige Kombination von Humor und Gewaltdarstellung verteidigen. Verteidigen gegen wen? Nicht zuletzt gegen deine eigenen Bedenken, denn natürlich wäre es sinnlos zu leugnen, daß es so etwas wie „Täterhumor“ gibt.

Vielleicht kommen wir jetzt so langsam dazu, nicht gegen Zensoren und Pädagogen zu argumentieren, sondern gegen uns selbst. Man könnte über Sensibilitäten sprechen, ohne damit Verboten das Wort zu reden. Man könnte über die eigene Schaulust sprechen, die einem selber unheimlich wird, ohne sich gleich „Menschenverachtung“ vorhalten zu lassen. Das wäre doch schon was.