Dokumentation
: „Verfall des rechtsstaatlichen Bewußtseins“

■ Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen zu der Durchsuchung Bremer Medien

Die Durchsuchungsaktion der Staatsanwaltschaft bei taz, Weser Kurier, Weser Report und Radio Bremen Fernsehen sowie in drei Privatwohnungen von Journalisten wird ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die Grünen haben gestern für die Bürgerschaftssitzung in der nächsten Woche (28./29.8.) eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt.

Henning Scherf (SPD) will sich heute zusammen mit Generalstaatsanwalt Hans Janknecht vor der Landespressekonferenz zu der Suche nach dem vertraulichen Rechnungshof-Bericht zum Finanzloch im Bildungsressort äußern. Janknecht wehrte sich gestern „mit allem Nachdruck“ gegen den Vorwurf, die Durchsuchungen hätten den besonderen Schutz verletzt, den die Presse in der Rechtsetzung und Rechtsprechung genieße. In der Berichterstattung über die Aktion werde – „von wenigen Ausnahmen abgesehen“ – verschwiegen, daß die Pressefreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze finde, erklärte Janknecht.

Führende FDP-Politiker verurteilten gestern in Bonn die Durchsuchungsaktion als „massive Beeinträchtigung der Pressefreiheit“. In einem Brief an Scherf bezeichneten Generalsekretär Guido Westerwelle und Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen das Vorgehen als einen „groben Verstoß gegen das Zeugnisverweigerungsrecht und das Verhältnismäßigkeitsprinzip“. Sie kündigten an, die Angelegenheit zum Thema einer Anfrage an die Bundesregierung zu machen.

Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ) hat sich gestern mit einer Erklärung zu den Vorgängen zu Wort gemeldet:

Die Durchsuchung der Räume der Bremer Presse und des Rundfunks kann nur als Zeichen für einen Verfall rechtsstaatlichen Bewußtseins und politischer Kultur in der Hansestadt gewertet werden. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Republik, daß Presse und Rundfunk eines Landes nahezu flächendeckend durchsucht wurden. Unabhängig vom Anlaß für diese Durchsuchungsaktion hat sie unweigerlich eine Einschüchterung der Informanten und der betroffenen Medien zur Folge, deren Kontrollfunktion gegenüber der Politik gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die Öffentlichkeit hat – unabhängig von dem in diesem Fall möglicherweise strafbaren Verhalten des Bediensteten – ein Recht, über Verschwendungen und finanzielle Fehlplanungen informiert zu werden. Die politische Kultur der Republik ist wesentlich von der kritischen Berichterstattung über mögliche oder tatsächliche Mißwirtschaft, die allzu gern unter den Teppich gekehrt wird, abhänging. Angesichts dieser Auswirkungen kann sich die Politik nicht hinter dem Beschluß des unabhängigen Richters oder der Eigenständigkeit staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen verstecken.

Die Bedeutung der Pressefreiheit gegenüber der zu ermittelnden Straftat wurde offenbar nicht erkannt und auch aus diesem Grund der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Das heißt, die Pressefreiheit hätte höher bewertet werden müssen als das Interesse des Staates an der Aufklärung der genannten Straftat.

Die Große Koalition darf nicht als Schweigekartell funktionieren. Die Verantwortlichkeiten in den Justizbehörden bedürfen der ungeschminkten Aufklärung. Andreas Fisahn, ASJ-Vorstand