„Orya“ – dorthin, wo es keine Drogen gibt

■ Drogenfreies Café in der Kreuzberger Oranienstraße schafft bislang fehlendes Angebot an ausländische Suchtabhängige. Normale Drogenprojekte nicht auf Migranten eingerichtet

Auf der Speisekarte stehen Kuchen und Croissants neben „Sucuk mit Käse oder Pastirma“, „Oralet“ und „Salep“ neben Capuccino und Beuteltee. So international wie die Speisekarte ist auch die Betreibercrew des ersten drogenfreien Cafés mit interkulturellem Ansatz, das gestern in der Kreuzberger Oranienstraße eröffnet wurde. In dem zehnköpfigen Team des Orya, das ausschließlich aus Ex-Usern besteht, arbeiten Migranten aus der Türkei, aus arabischen Ländern, dem Iran und Deutsche mit. Die meisten ehrenamtlich – denn nur zwei Personalstellen sowie ein Teil der Miete werden aus dem Selbsthilfetopf der Senatsverwaltung für Gesundheit bezahlt. Das türkische Wort Orya ist Name und Programm zugleich: Es heißt zum einen „dorthin“ und symbolisiert damit die Utopie einer drogenfreien, multikulturellen Begegnung. Es ist zum anderen die Abkürzung für „oriental“ und verweist somit auf den Kulturraum, aus dem die meisten BetreiberInnen stammen. Gleichzeitig ist es auch die türkische Kurzbezeichnung für die Oranienstraße und steht so auch für die Verbundenheit mit dem Kiez.

Zweiter Vorsitzender des Trägervereins ist Hizir Bak. Der 31jährige war lange Jahre heroinabhängig. Als er sich 1986 entschloß, clean zu werden, fand er einen türkischsprachigen Drogenberater. Nicht alle drogenabhängigen MigrantInnen haben dieses Glück. Für sie bedeutet Therapie im deutschen Drogenentzug häufig doppelten Streß. Zu den Schwierigkeiten des Entzugs kommt noch der Zwang zur Anpassung an eine fremde Kultur. Das fängt mit sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten in den meist rein deutschsprachigen Therapien an. Hinzu kommt, daß viele Drogentherapieeinrichtungen den kulturellen Background ihrer türkischen und arabischen Klienten kaum kennen. „Die deutsche Therapie ist sehr verbal und rational ausgerichtet. Die KlientInnen müssen für jede Handlung eine Begründung liefern. Die arabische Kultur ist demgegenüber sehr viel emotionaler. Damit kommen viele MigrantInnen nicht zurecht,“ sagt Arhan Akbiyik, Chef des Trägervereins Odak und einer der Hauptinitiatoren von Orya. Auch hätten viele MigrantInnen ein viel gefühlsbetonteres Verhältnis zu ihren Familien. Die eigenen Eltern zu kritisieren sei für sie tabu. So könne man von einem Klienten aus dem arabischen Kulturraum z.B. auch nicht verlangen, seine Mutterproblematik aufzuareiten. „Bevor der einmal etwas Böses über seine Mutter sagt, hat er zehnmal erzählt, wie toll seine Mutter ist.“

Im Orya soll es deshalb für Drogenabhängige keinen „Migrantenstreß“ geben. Den Anpassungszwängen in deutschen Therapien will man eine bewußte „Akkulturation“ entgegensetzen. „Drogenabhängige MigrantInnen brauchen einen Raum, wo sie in ihrer Kultur Witze machen, spielen oder musizieren können.“

Noch ist das Programm hauptsächlich auf ehemals drogenabhängige oder substituierte MigrantInnen zugeschnitten. Da gibt es verschiedene Gesprächsgruppen für Ex-User, ein Frühstück für Substituierte, eine sozialpädagogische Gesprächsrunde und einen Angehörigentreff. Deutschkurse für Frauen, Meditation und Nachhilfe in verschiedenen Schulfächern kommen hinzu. Seit kurzem hat sich auch eine Selbsthilfegruppe von weiblichen Angehörigen Drogenabhängiger etabliert.

In Zukunft will man sich aber mehr nach außen öffnen. Zumindest in der unmittelbaren Umgebung des Cafés hat das schon geklappt. Sowohl die Szene als auch die InhaberInnen der umliegenden Geschäfte finden sich gerne in den hell gestrichenen Räumen des Orya zu einem Kaffee oder preisgünstigen Imbiß ein. „Unsere Nachbarn mögen uns eben“, sagt Hizir Bak mit Stolz. „Sie sehen, wir haben etwas aufgebaut.“ Dagmar Schediwy