Verflixtes Heiliges Jahr

Roms Vorbereitungen auf das religiöse Jubiläum 2000 geraten zur Farce. Millionen Katholiken müssen sich auf Verkehrschaos gefaßt machen  ■ Von Nathalie Daiber

Seit 1475 wird es jedes Vierteljahrhundert ausgerufen – doch nun, da zum ersten Mal eine ganz, ganz runde Zahl lockt, scheint es über die Römer zu kommen wie ein völlig unerwartetes Naturereignis: Das Heilige Jahr (italienisch Giubileo genannt) wird Millionen Pilger in die Heilige Stadt locken, wo die katholische Kirche mit allerlei Sonderaudienzen, Öffnung ansonsten versteckter Preziosen, vor allem aber mit „Ablässen“ zur Sünden-Amnestie im Jenseits lockt. Doch von vorausschauender Planung ist nichts zu sehen.

Dabei hatte sich die Stadt und die umliegende Provinz an sich schon vor Jahren ausgerechnet, ähnlich wie bei Olympischen Spielen einen ansehnlichen Modernisierungsschub durchführen zu können. Mehr als eine Art Loseblattsammlung mehr oder weniger ausgegorener Ideen ist dabei allerdings nicht herausgekommen, obwohl allein die italienische Regierung umgerechnet fast eine Milliarde Mark lockermachen will. Eine neue U-Bahn-Linie soll entstehen, eine Fußgängerzone unter dem Castel Sant' Angelo, eine dritte Autospur für den Stadtring und der Umbau der Ost-Tangeziale sind geplant. Zehn Riesenparkplätze in den Außenbezirken, „neue Pforten Roms“ genannt, werden die Innenstadt entlasten, Pensionen und Herbergen emporwachsen, historische Gebäude restauriert werden.

Auch der Vatikan hat seine eigenen Pläne: Fünfzig neue Kirchen sind anvisiert, ein großer Parkplatz soll unter dem Gianicolo-Hügel neben dem Petersdom entstehen, und nahe dem Stadtautobahnring ist ein „Auditorium“ geplant, auf dem mindestens eine Million Menschen Superaudienzen beiwohnen können.

Schon die Vorüberlegungen gerieten dabei zum Ratespiel. Die Stadt Rom rechnet für das Jahr 2000 mit einem Pilgerstrom von gut und gerne zehn Millionen Pilgern; der Vatikan dagegen gar mit fünfzig Millionen. Vernünftig ist da, daß die aus Grünen und Linksdemokraten bestehende Stadtverwaltung sich Gedanken um den Verkehr macht. Doch „das Geld für eine neue U-Bahn oder neue Straßenbahnlinien hat die Stadt Rom nicht und wird sie auch niemals haben“, erklärt Pietro Barrera, Kabinettchef des grünen Bürgermeisters Rutelli. „Aber mit dem Geld für das Giubileo können wir einiges verändern!“

Verkehr soll auf die Schiene, aber wo?

Schon im Wahlprogramm ist die Idee verankert, möglichst den gesamten Verkehr in Rom auf Schienen zu legen, denn Rom ist tatsächlich drauf und dran, trotz einiger Entlastungsmaßnahmen an seinem eigenen Verkehr zu ersticken, da faktisch alle großen Transitstraßen über das Zentrum führen, Querverbindungen zwischen den einzelnen Außenbezirken kaum vorhanden sind. U-Bahn-Linien gibt es nur zwei und einige wenige S-Bahn-Linien. Aber auch das Busnetz folgt der gleichen Theorie wie das Straßennetz: Man muß immer über das Zentrum fahren. Das Busnetz ist zwar relativ gut ausgebaut, aber in Spinaceto – einem Neubau-Außenbezirk – gibt es gerade mal eine Buslinie für 75.000 Menschen, so daß die Menschen dort alle auf das Auto angewiesen sind. „Man muß auch bedenken“, sagt Ella Baffoni, Lokalredakteurin bei il manifesto, „daß Rom an Fläche die größte Stadt in Europa ist! Die Wege sind weit in Rom.“

Eine neue U-Bahn also: Sie soll erst mal von San Giovanni über das Stadtzentrum zum Petersdom gebaut werden, eine Diagonale zwischen den beiden Hauptzentren des katholischen Kults. Ein Teil der Strecke wäre über-, ein weiterer unterirdisch. Da sie unter dem Stadtzentrum durchführen würde, könnte sie dem dortigen überquellenden Verkehr der Ministerien und Ämter wirkungsvoll abhelfen: „Wenn wir allein den Verkehr der Administration reduzieren könnten, wäre schon viel gewonnen“, meint Pietro Barrera.

Aber U-Bahn bauen in Rom ist schwer. An den beiden bestehenden Linien wurde zwanzig Jahre gebaut. Denn unter Rom befindet sich im Grunde noch eine weitere Stadt, und egal wo gegraben wird, tauchen archäologische Funde auf. Damit sind die Bauarbeiten für eine Weile blockiert. Dem ist sich die Stadtregierung nun aber auch bewußt – und hat gleich eine Lösung parat: die U-Bahn wird eben in 30 Meter Tiefe gebaut, wo keine alten Ruinen mehr zu befürchten sind.

Doch gerade damit wird das Projekt noch mehr zur Farce: Noch ist nicht einmal das Raumordnungsverfahren durchgeführt, kein Spatenstich getan – doch bis 2000 bleiben nicht einmal mehr dreieinhalb Jahre. Rom wäre nicht Rom, hätte da nicht auch schon einer das Rezept parat: „Dann müssen wir halt einfach einen Weltrekord aufstellen“, erklärt allen Ernstes Filippo Ciccone, Präsident der „Sta“ (Gesellschaft für Verkehrsmittel): „Die neue U-Bahn-Linie wird die am schnellsten gebaute Linie auf der Welt, und das in der schwierigsten Stadt der Welt.“ Punktum!

Zur weiteren Lachnummer droht auch der Umbau der „Tangenziale-Est“ zu werden. Dabei handelt es sich um eine vierspurige Straße auf Stelzen, die einst als Provisorium mitten durch die östliche Altstadt gebaut wurde – sie führt direkt an den Fenstern im dritten Stock vorbei, unten rattert die Straßenbahn auf ihren alten Schienen.

Dieser Lage soll nun abgeholfen werden – indem der untere Stock zur U-Bahn erklärt wird. Das Erklären ist wörtlich zu nehmen: Die Straßenbahnstrecke soll einfach mit Zement ummantelt werden, und fertig ist die U-Bahn. Oben auf der Stelzenstraße sollen Mittelinseln eingezogen und Bäume darauf gepflanzt werden – womit der geplante „Grünring“ seine Erfüllung fände.

Noch breitere Straßen zum Flughafen

Vom Bauboom 2000 profitiert natürlich auch so manches Schmarotzerprojekt. Die Autobahn zum Flughafen Fiumicino ist derzeit durchaus ausreichend – doch nun wird sie auf drei Pisten erweitert, weil an dieser Strecke ein riesiger Autohof gebaut wird, wo dann Lastwagen verladen werden sollen: „Wir haben lange gegen den Autohof gekämpft und haben vor Gericht verloren“, rechtfertigt Pietro Barrera den Ausbau, „was sollen wir machen? Bald wird hier großer Verkehr sein. Wir müssen dem natürlich Rechnung tragen!“ Immerhin haben sich die Privatinvestoren bereit erklärt, einen Teil der Strecke mitzufinanzieren.

Völlig zum Umweltschutzdesaster zu werden drohen einige Maßnahmen zur „Liberalisierung“ bei geplanten Projekten. So wurde das seit 1925 geltende Baugesetz, das eine Obergrenze für alle nichtkirchlichen Bauten vorschreibt, außer Kraft gesetzt. Künftig dürfen Hochhäuser auch die Innenstadt verschandeln. Begründung: In Rom gebe es zu wenig Unterkünfte der Klasse von zwei und drei Sternen, also für Pilger mit kleinem Geldbeutel. Darüber kann sich Fabrizio Giovenale, Stadtplaner und einer der „Väter des italienischen Umweltschutzes“, besonders aufregen, zumal „all das ausgerechnet durch eine linksgrüne Stadtregierung geschieht“. Noch dazu ist alles so unsäglich unnötig, „denn es gibt so viele Gebäude, die leer stehen. Beton haben wir genug, wir brauchen mehr Grün!“

Die Erfahrungen von der Fußballweltmeisterschaft 1990 sprechen für seine These: Da wurde extra eine neue S-Bahn-Linie für die Stadien gebaut. Die Bahnhöfe brauchte danach aber niemand mehr – sie wurden zum Teil wieder geschlossen und stehen ungenutzt herum. Nur wenige, wie der hochmoderne Bahnhof Ostiense, werden heute noch genutzt – etwa für Konzerte.

Ganz und gar aus dem Gedächtnis entschwunden scheint ein früherer Zentralpunkt der Grünen, der auch im Wahlprogramm der heute regierenden Koalition stand: Danach sollten die zahlreichen Parks und Erholungszonen in Rom endlich dem Publikum zugänglich gemacht werden – statt dessen aber wuchert dort weiter wie eh und je die Bauspekulation.

Freilich wird wohl vieles weniger schlimm als projektiert, besonders seit Italien einen neuen Minister für öffentliche Arbeiten erhalten hat: Antonio Di Pietro, vordem Chefankläger gegen die Korruption. Er kündigte an, er sähe kaum Chancen, so ehrgeizige Projekte wie die U-Bahn oder die Untertunnelungen zu realisieren. Das hat ihm mächtigen Ärger mit dem grün-roten Bürgermeister Rutelli eingetragen („Dann macht die Stadt es eben alleine“) und einen Rüffel des neuen Regierungschefs Romano Prodi, der dem Vatikan zu Diensten sein will. Doch Di Pietro weiß die Zeit auf seiner Seite: „Wir sind zu spät dran.“ Sein Verdacht: Die Planung wurde absichtlich verschleppt, um die Aufträge dann der drängenden Zeit wegen ohne Ausschreibungen zu vergeben und die üblichen Absahner zu bevorzugen.

Chaos allerorten.

So sieht neuerdings vor allem die Provinz ihre Chance: „Kommen Sie an die Odysseus-Küste“ lockt etwa ein Prospekt aus dem 90 Kilometer entfernten Terracina, „Sie sind in einer Stunde in Rom, aber bei uns haben Sie saubere Strände, guten Service und keine Baustellen.“ Die Reiseagenturen sind dem zugänglich: „Gut ein Viertel der Besucher werden wir außerhalb unterbringen“, sagt ein Vermittler. „Da werden wir weniger Beschwerden haben und können annehmbare Preise garantieren.“ Roms Geschäftswelt wird, wie schon in dem Heiligen Jahr 1975 und 1990 bei der Fußball- Weltmeisterschaft, am Ende wieder mal mit langem Gesicht dastehen.