High-noon für Ausbildungsmuffel

■ Die Zeit der Appelle ist vorbei: Senat bereitet einen „gesetzlichen Sicherstellungsauftrag“ für Ausbildungsplätze vor. Die Situation am Lehrstellenmarkt verschärft sich kontinuierlich

High-noon für die Wirtschaft: In einer Notsitzung der Ausbildungskommission fragen die BürgermeisterInnen Diepgen und Bergmann heute nach dem Stand der Lehrverhältnisse – und der ist so schlecht wie nie. Zuletzt waren über 8.000 junge Leute ohne berufliche Perspektive. Die heutige Sitzung sei die letzte Chance der Wirtschaft, hieß es im Senat, zu zeigen, daß sie ausreichend Jugendliche beruflich qualifizieren könne. Andernfalls werden die Kammern mit einem „gesetzlichen Sicherstellungsauftrag“ zu Ausbildung oder Umlage gezwungen.

Nach Informationen der taz hat Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) ein fertiges Modell in der Schublade, das die Betriebe per Gesetz verpflichtet auszubilden – oder zu zahlen. Auch der Regierende Eberhard Diepgen (CDU) ist angesichts der Situation zu einer härteren Gangart bereit: Zur Abwehr von Fehl- und Nichtqualifizierung sei „ein überbetrieblicher Lastenausgleich zur Finanzierung der betrieblichen Ausbildung – gegebenenfalls zeitlich befristet – in Erwägung zu ziehen“, heißt es in einem Bericht ans Abgeordnetenhaus, den Diepgen unterzeichnet hat. Zuvor sei letztmalig eine argumentative Konsensbildung zu versuchen – in der Ausbildungskommission.

Bei Umlagemodellen müssen sich nichtausbildende Betriebe finanziell an der Bereitstellung neuer Lehrstellen beteiligen. Verschiedene Branchen praktizieren diesws Verfahren, um Wettbewerbsnachteile von Ausbildungsbetrieben auszugleichen. Selbst im Handwerk, wo traditionell die meisten Lehrherren und -frauen zu Hause sind, führt nur noch ein Drittel der Betriebe junge Leute zu Beruf und Qualifikation.

Im Juli waren in der Region Berlin/Brandenburg 19.000 junge Leute ohne Ausbilder. Das Angebot für Möchtegern-Azubis ist dagegen äußerst mager: 1.700 Stellen in Berlin, meist in wenig nachgefragten Berufen. Ein von den Jusos angefertigter statistischer Vergleich seit 93 zeigt, wie dramatisch sich die Ausbildungssituation in den vergangenen Jahren verschlechtert hat (siehe Seite 23). Die Grafik beruht auf Zahlen des Landesarbeitsamtes. Auch massive schulische und staatliche Sonderprogramme konnten das Mißverhältnis zwischen SchulabgängerInnen und Lehrangeboten nicht annähernd ausgleichen. Der DGB rechnet damit, daß dieses Jahr 2.000 Berliner Jugendliche mit 16 auf der Straße stehen werden.

Doch auch verschärfte Ausbildungsanstrengungen führen nicht immer zum gewünschten Ergebnis. Zwar startete die Industrie- und Handelskammer (IHK) noch am Wochenende eine Informationsoffensive, nach der bereits 5.700 Ausbildungsverträge abgeschlossen worden seien. Der DGB hat das allerdings indirekt als eine Lüge bezeichnet. Die Zahl der angebotenen Lehrstellen im Dualen System (Ausbildung in der Wirtschaft, Unterricht in der Berufsschule) sei nicht etwa gestiegen, sondern in der Region um rund 10 Prozent zurückgegangen, sagte der stellvertretende DGB-Chef Bernd Rissmann.

Dem Bericht der Arbeitssenatorin zufolge seien Einzelbetriebe offensichtlich überfordert, ein angemessenes Ausbildungsplatzangebot herzustellen. In Ostdeutschland würden 60 Prozent der Lehrstellen sogar teilweise oder voll finanziert. „Diese staatliche Investitionsquote ist bedenklich“, heißt es, und sie beschwöre „die Gefahr erheblicher Fehlqualifizierungen herauf“. Die Jusos veranstalten am Samstag ein „Forum Ausbildung“, um für eine gesetzliche Azubi-Umlage zu werben. Motto der Kampagne: „Wer nicht ausbildet, wird umgelegt!“ Christian Füller