Vom Fortschritt der Ungleichheit

■ Sind die Frauen weltweit auf dem Vormarsch? Bilanz der internationalen Frauenbewegungen ein Jahr nach der Vierten Weltfrauenkonferenz der UNO

Vor genau einem Jahr packten viele Frauen ihr Gepäck für die Weltfrauenkonferenz in China. Heute geht es darum, die Ernte der internationalen Frauenbewegung heim nach Deutschland zu bringen, to bring Peking home. In „Frauen der Welt“ beschreibt Christa Wichterich den „Fortschritt der Ungleichheit“ von Frauen auf der internationalen Ebene: Wurden Frauen früher nur als Opfer der Modernisierung betrachtet, so gelten sie heute als wichtige Trägerinnen von Entwicklung. Ob bei der Sozialversorung, bei alternativer Gesundheit, oder Ökologie – Regierungen und internationale Entwicklungsorganisationen etikettieren Frauen als Hoffnungspotential. Dabei beziehen sie sie als öffentliche Mütter, als Versorgerinnen und Nährerinnen in die Politik ein und bestätigen damit die herrschende Weiblichkeitsnorm. Im Zuge von Strukturanpassung sollen Frauen für die gestrichenen Basisgesundheitsprogramme einspringen oder die Massenverarmung durch Tausende von Suppenküchen lindern. Auf diese Weise ist die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern modernisiert worden. Aber der Fortschritt hat auch Ungleichheiten zwischen Frauen befördert. Viele Frauen haben den Weg in ungeschützte Lohnarbeit gefunden, viele sind in mittlere Positionen vorgedrungen. Es hat sich eine Elite von Politikerinnen und Lobbyistinnen herausgebildet. Und es gibt zahlreiche Frauengruppen, die als „Ameisen der Bewegung“ im Mikrobereich aktiv sind. Aber Milliarden von Frauen haben weiterhin keine politische Stimme.

Sowohl Christa Wichterich als auch Anja Ruf zeichnen die vielen Absprachen, Diskussionen und Konflikte zwischen Regierungen und innerhalb der Frauenbewegungen auf dem Weg zur Weltfrauenkonferenz nach. Das Forum der regierungsunabhängigen Organisationen in Peking relativierte den alten Dualismus zwischen den Frauen aus dem Norden und dem Süden durch das Lernen in einer gemeinsamen Welt. Auch das alte Spaltungsargument, nach dem es Frauen im Süden um Armut und Frauen im Norden um sexuelle Gewalt geht, greift nicht mehr. Viele „weiße“ Frauen aus dem Norden haben gelernt, zuzuhören und sich nicht zum Maß der Frauenbefreiung zu machen. Frauen aus dem „Osten“ allerdings kamen noch wenig zu Wort. Die Frauen erkennen ihre Unterschiede an, um auf dieser Grundlage zusammenzuarbeiten.

Im Mittelpunkt der Diskussionen standen wirtschaftliche und soziale Zukunftsmodelle. Die Frauen aus dem Süden forderten einen Menschenrechtsbegriff, der auch Freiheit von Gewalt, Abhängigkeit und Armut beinhaltet. Sie wollen nicht bei der individuellen Integration von Frauen stehenbleiben. Doch die geforderten strukturellen Veränderungen blieben bei der UN-Hauptkonferenz vor der Tür. Industrie- und einige Entwicklungsländer sicherten keine Gelder für Sozialprogramme zu.

Während Christa Wichterich die Vereinnahmung von feministischen Konzepten wie dem empowerment durch herrschende Institutionen wie die Weltbank kritisiert, sieht Anja Ruf das empowerment als kontinentübergreifende Perspektive. Christa Wichterich zeigt, daß sich die Frauenbewegung ausgeweitet hat, spricht aber auch die Fragmentierung und Beliebigkeit an und fragt nach weiterführenden Strategien, um die Verhältnisse zu verändern. Anja Ruf dagegen erklärt den Wunsch nach Strategiedebatten zu etwas Westlichem. Dabei verlaufen Konflikte und Diskussionen etwa in Ostasien doch ebenso heftig wie in Europa. Es sollte gerade darum gehen, in der internationalen Frauenbewegung auch aus Fehlern, undemokratischen Strukturen und leiser Anpassung an die Institutionen zu lernen. Dabei ist das Konzept der Rechenschaft (accountability), das die indischen Frauengruppen für ihre Verantwortung gegenüber den Frauen an der Basis eingebracht haben, sehr wichtig. Beide Autorinnen zeigen, wie Frauen ihre Macht ausbauen, sich vernetzen und viele praktische Ansätze auf dem Weg zu einer globalen menschlichen Zukunft der Frauen entwickelt haben. Ilse Lenz

Christa Wichterich: „Frauen der Welt. Vom Fortschritt der Ungleichheit“. Lamuv Verlag, Göttingen 1995. 240 Seiten, 29,80 DM

Wichterich: „Wir sind das Wunder, durch das wir überleben. Die 4. Weltfrauenkonferenz in Peking“. Heinrich-Böll-Stiftung 1996, 150 Seiten, 12 DM plus Porto

Anja Ruf: „Weltwärts Schwestern! Von der Weltfrauenkonferenz in die globale Zukunft“. Dietz Vlg., Bonn 1996, 160 S., 19,80 DM