■ Der belgische Kindersexskandal hat dem ersten Weltkongreß gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern makabre Aktualität verliehen. Ab heute beraten in Stockholm Delegierte aus 122 Ländern Gesetze gegen Kinderpornographie und -prostitution.
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Der belgische Kindersexskandal hat dem ersten Weltkongreß gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern makabre Aktualität verliehen. Ab heute beraten in Stockholm Delegierte aus 122 Ländern Gesetze gegen Kinderpornographie und -prostitution.

Verschleppt, mißbraucht und gefilmt

Schwedens Hauptstadt Stockholm ist von heute bis Samstag Gastgeberin für den ersten Weltkongreß gegen den kommerziellen sexuellen Mißbrauch an Kindern. Aus 122 Ländern kommen mehr als tausend Delegierte von Regierungen, unabhängigen Organisationen und internationalen Diensten einschließlich Interpol zusammen, um sich anhand von Fallstudien über neue Lösungsansätze im Kampf gegen die Kinderprostitution zu verständigen.

Die Initiative kam von der Organisation ECPAT (End Childprostitution in Asian Tourism), die seit 1990 gegen den Sextourismus mit Minderjährigen kämpft. Mittlerweile gibt es ECPAT-Gruppen in 30 Ländern. ECPAT-Koordinator Ron O'Grady allerdings zieht eine nüchterne Bilanz: „Das übergeordnete Ziel haben wir nicht erreicht. Kinderprostitution ist noch immer auf dem Vormarsch.“

Wie groß der internationale Kindersexmarkt ist, weiß niemand so genau. Unicef schätzt, daß rund eine Million Kinder weltweit kommerziell sexuell ausgebeutet werden, hauptsächlich in Asien. 40.000 bis 60.000 Kinder, hauptsächlich Mädchen, sollen es in Thailand sein, rund 30.000, vorwiegend Jungen, auf Sri Lanka, und rund 400.000 in Indien. Und es entstehen immer neue Ziele für den Sextourismus: Vietnam, Kambodscha und Brasilien sind im Kommen, genauso wie Osteuropa, viele afrikanische Länder – und Kuba.

Allein aus Deutschland, so wird geschätzt, sind jährlich 400.000 Männer als Sextouristen unterwegs – rund 10.000 davon auf der Suche nach Sex mit Kindern. Kinderprostitution, Kinderhandel und Kinderpornographie sind dabei kaum zu trennen: Oftmals werden Kinder verschleppt oder verkauft, in die Prostitution gezwungen und von ihren „Kunden“ auch noch gefilmt. Der Mißbrauch ist vielfältig, aber die Opfer sind dieselben – wie der Kreis der Konsumenten.

Um Mißbrauch von Minderjährigen zu finden, braucht man nicht weit zu fahren: Die Berliner Polizei schätzt die Zahl minderjähriger Jungen, die sich regelmäßig in der Stadt prostituieren, auf 2.000. Und die bundesweite deutsche Kriminalstatistik erfaßt für 1995 insgesamt 16.013 Fälle sexuellen Mißbrauchs an Kindern, in 414 Fällen wurden bei Verdächtigen Kinderpornos sichergestellt.

„Wir wollen uns auf Kinderprostitution, Kinderpornographie und Sexhandel mit Kindern konzentrieren“, faßt Lisbeth Palme, Witwe des ermordeten schwedischen Premiers Olof Palme und Vorsitzende des Vorbereitungskomitees, die Hoffnung auf das Kongreßergebnis zusammen. Eine Deklaration, die der Weltkongreß verabschieden soll, ist fertig formuliert, sie soll Vorschläge für koordinierte Maßnahmen und einen Handlungsplan enthalten.

Die „Deutsche Arbeitsgemeinschaft gegen Kinderprostitution und Sextourismus“, ein Zusammenschluß von 24 deutschen Nichtregierungsorganisationen, fordert etwa von der Bundesregierung, in den besonders betroffenen Ländern speziell geschulte Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes einzusetzen, um dem seit 1993 bestehenden Strafanspruch des Staates auch gegen im Ausland begangene Vergehen Geltung zu verschaffen. Die Beamten sollen bereits in den Ländern selbst aktiv werden, Zeugen vernehmen können, mit den örtlichen Behörden zusammenarbeiten.

Der Vorschlag wird bislang vom Justizministerium begrüßt, vom Innenministerium aber abgelehnt. Am Sonntag hatte sich auch Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) für die Einrichtung dieser Verbindungsleute ausgesprochen. BKA-Verbindungsbeamte gibt es bereits in einigen Ländern zur Bekämpfung des Drogenhandels und der organisierten Kriminalität (vgl. Artikel unten).

Deklaration und Aktionsplan, die der Stockholmer Kongreß verabschieden will, bauen auf der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen auf, die von 187 Staaten unterzeichnet wurde. Die Konvention schützt in verschiedenen Artikeln (19, 32, 34, 35) Kinder ausdrücklich vor sexuellem Mißbrauch und sexueller Ausbeutung. Der Kongreß fordert ergänzende nationale Gesetzgebungen, um Tatbestände und dementsprechend Täter klarer zu definieren – aber auch die Opfer besser zu schützen. Noch immer werden etwa in Pakistan Kinder ins Gefängnis gesteckt, die bei Razzien als Prostituierte entdeckt werden.

Helena Karlén von der schwedischen Kinderhilfsorganisation „Rädda Barnen“ („Rettet die Kinder“), eine der führenden MitinitiatorInnen des Weltkongresses, macht sich keine Illusionen: „Wir können nur hoffen, daß der Kongreß genügend Anschub gibt, daß auf nationaler Ebene weitergehandelt wird. Nur so wird das Ganze nicht in feierlichen Floskeln oder leeren Versprechungen enden.“ Reinhard Wolff, Bernd Pickert